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Die Hyperion-Gesänge

Die Hyperion-Gesänge

Titel: Die Hyperion-Gesänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dan Simmons
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der Nähe und die Med-Einheit des Schiffs wie aus einem Traum. Theo stellte fest, dass er einen weichen schwarzen Pyjama trug und auf dem Untersuchungstisch der Med-Einheit
geschlafen hatte. Die vergangenen zwölf Stunden fügten sich langsam aus den Bruchstücken seiner Erinnerung zusammen: wie er aus dem Behandlungstank gehoben wurde, wie Sensoren angelegt wurden, wie der Konsul und ein anderer Mann sich über ihn beugten und ihm Fragen stellten – Theo antwortete, als wäre er wirklich bei Bewusstsein, dann schlief er wieder ein und träumte von Hyperion und von brennenden Städten. Nein, keine Träume.
    Theo richtete sich auf, spürte, wie er fast vom Untersuchungstisch schwebte, fand seine gewaschene und ordentlich zusammengelegte Kleidung auf einem Regal in der Nähe, zog sich an und hörte dabei unablässig die Musik, die manchmal anschwoll, manchmal ausklang, aber stets mit einer quälenden akustischen Eigenheit fortgeführt wurde, die darauf hindeutete, dass sie live war, nicht aufgezeichnet.
    Theo ging über die kurze Treppe zum Freizeitdeck und blieb überrascht stehen, als er feststellte, dass das Schiff offen war, der Balkon ausgefahren, das Sperrfeld anscheinend abgeschaltet. Die Schwerkraft war minimal: Sie reichte gerade aus, Theo wieder aufs Deck zu ziehen, aber mehr nicht – möglicherweise nur zwanzig Prozent oder weniger als die auf Hyperion, vielleicht ein Sechstel Standard.
    Das Schiff war offen. Strahlendes Sonnenlicht strömte durch die offene Tür des Balkons, wo der Konsul saß und das uralte Instrument spielte, das er »Flügel« nannte. Theo erkannte den Archäologen Arundez, der mit einem Drink in der Hand an der offenen Hülle lehnte. Der Konsul spielte etwas sehr Altes und sehr Kompliziertes; seine Hände huschten über die Tastatur. Theo kam näher, wollte dem lächelnden Arundez etwas ins Ohr flüstern und hielt dann erschrocken inne und sah fassungslos hinaus.
    Jenseits des Balkons fiel helles Sonnenlicht auf einen grünen Rasen, der sich bis zu einem viel zu nahen Horizont erstreckte.
Auf diesem Rasen saßen Menschen in Gruppen versammelt und lauschten offenbar in entspannter Haltung dem Konzert des Konsuls. Aber was für Menschen!
    Theo konnte hochgewachsene, schlanke Menschen erkennen, die wie die Ästheten von Epsilon Eridani aussahen, blass und kahlköpfig und in blaue Gazegewänder gehüllt, aber daneben eine erstaunliche Vielfalt an Menschentypen, die zuhörten – eine größere Vielfalt, als sie das Netz je gesehen hatte: Menschen mit Fell und Schuppen; Menschen mit Körpern wie Bienen und entsprechenden Augen, Facettenrezeptoren und Fühlern; Menschen so dünn und zierlich wie Drahtskulpturen, deren dünnen Schultern gewaltige schwarze Flügel entsprangen, die sie wie Capes um sich gefaltet hatten; Menschen, die offenbar für Welten mit hoher Schwerkraft geschaffen waren, kurz und gedrungen und muskulös wie Büffel, neben denen Lusier zierlich gewirkt hätten; Menschen mit kurzen Leibern und langen Armen und orangefarbenem Fell, die sich lediglich durch die feinsinnigen Gesichter von Holos der längst ausgestorbenen Orang Utans der Alten Erde unterschieden; und andere, die mehr lemurenhaft als humanoid aussahen, mehr katzenhaft oder löwenartig oder nagetiermäßig oder anthropoid als menschenähnlich. Und doch wusste Theo sofort, dass es sich um Menschen handelte, so schockierend ihre Unterschiede auch waren. Ihre aufmerksamen Blicke, die entspannten Haltungen und hundert weitere subtile Attribute – bis hin zu der Art, wie eine Mutter mit Schmetterlingsflügeln ein Baby mit Schmetterlingsflügeln in den Armen wiegte – sprachen deutlich für eine gemeinsame Zugehörigkeit zur Menschheit, die Theo nicht leugnen konnte.
    Melio Arundez drehte sich um, lächelte über Theos Gesichtsausdruck und flüsterte: »Ousters.«
    Der verblüffte Theo Lane konnte nicht mehr tun, als den
Kopf zu schütteln und der Musik zu lauschen. Ousters waren Barbaren, nicht diese wunderschönen und manchmal ätherischen Geschöpfe, Oustergefangene auf Bressia, ganz zu schweigen von den Leichen ihrer gefallenen Infanteristen, waren von einheitlicher Statur gewesen – groß, ja, mager, ja, aber entschieden mehr dem Netzstandard entsprechend als diese schwindelerregende Darbietung von Vielfalt.
    Theo schüttelte erneut den Kopf, während das Klavierst ück des Konsuls zu einem Crescendo anschwoll und mit einer nachdrücklichen Note zu Ende ging. Hunderte Wesen auf dem angrenzenden Feld

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