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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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Geschirrvitrine und eine Eßecke, alle aus massivem Kiefernholz und von Astlöchern durchschossen, riechen nach frischem Lack und Holzleim. Auf dem Boden liegt ein großer blau-gelber Teppich mit langen Fransen. Auf den IKEA-Regalen stehen zwei Meter Bücher, eine lange Reihe von Video-Kassetten, zwei Kerzenständer, Bilder in Stehrahmen und ein Penis aus Kristallglas, der zart blau beleuchtet wird. Über der Couch hängt ein Bild in einem Metallrahmen, groß wie eine Tischplatte. Das Fotoposter zeigt eine mittelgroße, wohlproportionierte Frau in einem eleganten Kostüm. Die Frau steht im Sonnenlicht vor einem klassizistischen Bau, der wie ein Finanzamt oder ein Gerichtsgebäude aussieht. Sie trägt eine schwarze Ledermappe unter dem Arm; ein leichter Wind streicht ihr durch das Haar, und sie ist genau das, was viele Menschen als eine attraktive Frau in den besten Jahren bezeichnen würden. In der unteren rechten Ecke des Metallrahmens steckt ein postkartengroßes Bild, das dieselbe Frau zusammen mit Falko Nicolai zeigt. Beide sitzen in einem italienischen Restaurant. Vor ihnen stehen leere Pasta-Teller, eine halbvolle Salatschüssel und Espressotassen. Die Frau trägt wieder ein Kostüm, Nicolai, jünger, schlanker und noch ohne Bart, trägt einen Anzug mit Krawatte. Beide prosten dem Fotografen mit Prosecco-Gläsern zu. Nicolai folgt Weigandts Blick, als dieser das Wohnzimmer inspiziert. Endlich kehren Weigandts Augen zu seinen Unterlagen zurück.
    „Ein schönes Bild“, sagt Weigandt.
    „Meine Frau.“
    „Da wäre vielleicht eine Riester-Kombirente für Sie beide genau das Richtige.“ Weigandt legt Begeisterung in seine Stimme. „Wir haben da ...“
    „Meine Frau ist verstorben.“
    „Das tut mir leid, ich ...“
    „Das braucht Ihnen nicht leid zu tun. Sie kannten sie ja nicht.“
    „Sie sieht so jugendlich aus … Darf ich fragen …?“
    „Sie hatte einen Herzinfarkt. Beim Joggen.“
    „Wirklich? Man liest das jetzt so oft, daß genau beim Sport …“
    „Sie sind doch nicht dreihundert Kilometer gefahren, um mit mir über Herzinfarkte beim Sport zu reden, oder?“
    „Nein.“
    Weigandt schüttelt den Kopf. Beide schweigen einen Augenblick, dann nimmt er ein Blatt aus einer Klarsichthülle.
    „Wissen Sie, wie viele Männer in Ihrem Alter jedes Jahr berufsunfähig werden?“
    Nicolai schüttelt den Kopf.
    „Jeder siebte“, sagt Weigandt und schiebt ein Blatt mit einer bunten Tortengrafik zu Nicolai über den Couchtisch.
    „Unserer Berufsunfähigkeitsversicherung für Künstler, Schriftsteller und Musiker ist ein absolutes Topprodukt.“
    „Und wenn ich nicht berufsunfähig werde?“
    „Dann bekommen Sie eine Rente oder der angesparte Betrag wird in einer ...“
    „Ab wann?“ unterbricht Nicolai.
    „Wenn Sie sechzig sind.“
    „Und was kostet das?“
    „Wenn Sie die fondsgebundene Variante wählen, dann beginnen wir mit zweihundert Euro im Monat. Sie haben die Auswahl unter zwanzig Top-Fonds mit einer garantierten jährlichen Rendite von sechs Prozent.“
    Nicolai hört zu und schweigt.
    „Steuerfrei.“
    Nicolai sagt noch immer nichts.
    „Vielleicht wissen Sie jetzt nicht genau, was fondsgebunden bedeutet, also Fonds sind ...“
    „Ich weiß, was Fonds sind.“
    „Okay“, sagt Weigandt, „dann können wir ja schon mal den Antrag ausfüllen.“ Er nimmt zwei engbedruckte Formulare aus seiner Tasche und schraubt einen Füllfederhalter auf.
    Nicolai stellt den Fernseher leiser und sieht demonstrativ auf seine Uhr.
    „Nur noch einige wenige Fragen“, sagt Weigandt, „und dann sind wir auch schon fertig.“
    Er fragt Nicolai nach Namen, Adresse und Geburtsdatum, nach seiner Ausbildung, seinem Gehalt und seiner Krankenversicherung. Nicolai beantwortete jede Frage knapp und präzise. Er hört erst mit dem Antworten auf, als Weigandt ihn nach seinen früheren Arbeitgebern fragt.
    „Was geht Sie denn meine Vergangenheit an?“
    Weigandt versucht zu lächeln, aber nur seine Lippen verzerren sich kurz nach oben. Im gelben Licht der Stehlampe sieht er nervös und angespannt aus.
    „Reine Routine, mit der Policen-Erstellung hat das gar nichts zu tun, wir versichern Sie auf jeden Fall.“
    „Alle meine Arbeitgeber, seit ich die Schule verlassen habe?“
    Weigandt nickt.
    Nicolai steht auf und zündet sich eine Zigarette an.
    „Wann haben Sie die Schule abgeschlossen?“
    „1987.“
    „Und dann?“
    „Dann habe ich zu arbeiten begonnen.“
    „Wo und als was?“
    „Ich war zuerst hier

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