Die in der Hölle sind immer die anderen
in Zeitz, in der Küche des Hydrierwerkes.“
„Und dann?“
„Dann kam die Wiedervereinigung, und ich bin in den Westen.“
„Wo waren Sie da?“
„Ein halbes Jahr in Kassel und dann in Saarbrücken.“
„Und dort wieder?“
„War ich Koch bei einem Cateringunternehmen.“
„Wie lange?“
„Zwei Jahre, dann war ich einige Jahre lang Geschäftsführer eines Hotels auf Sylt. Seitdem bin ich freier Schriftsteller.“
Trotz seiner Nervosität hätte Weigandt fast gelacht. Auf Sylt also hat Nicolai seine Jahre im Gefängnis verbracht.
„Geschäftsführer eines Hotels.“ Weigandt spricht die Worte langsam aus und betont jede Silbe. „Wann war das genau?“
„Von 1993 bis vor zwei Jahren.“
Nicolai drückt die Zigarette, die er erst zur Hälfte geraucht hat, in den Aschenbecher auf dem Tisch.
„Ich weiß wirklich nicht, was diese ganze Fragerei mit dem Abschluß einer Versicherung zu tun hat.“
Nicolai schaut auf die grünen Ziffern des Videorecorders.
„Vor dreißig Minuten wollten Sie in einer Viertelstunde fertig sein.“
Weigandt sieht dem anderen starr in die Augen.
„Vielleicht dauert es doch noch etwas länger, denn ich habe das Gefühl, daß Sie mir nicht die Wahrheit über Ihre Vergangenheit gesagt haben.“
Nicolai steht auf und lehnt sich mit dem Rücken gegen die Terrassentür. Zwischen zwei Fingern hält er eine frische Zigarette.
„Das ist doch kein Vorstellungsgespräch hier, oder? Ich muß Ihnen doch nicht meinen ganzen Lebenslauf runterbeten, nur damit ich bei Ihnen eine Rentenversicherung abschließen kann, ich ...“
„Ein bißchen mehr als den Quatsch von vorhin müssen Sie mir schon erzählen.“
Nicolai will ihn unterbrechen, aber Weigandt bringt ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.
„Für wie blöd halten Sie mich eigentlich? Von 1994 bis 2002 waren Sie nicht auf Sylt, sondern im Gefängnis. Das steht doch sogar in Ihrem Buch hier.“
Weigandt greift in seinen Attachékoffer und zieht ein Taschenbuch heraus.
„Wollen Sie mein Exemplar vielleicht signieren?“
Nicolai stößt sich mit einem Ruck von der Glasscheibe ab und geht auf Weigandt zu. Als er zu reden beginnt, zittert seine Stimme.
„Ich glaube nicht, daß ich bei Ihnen eine Versicherung abschließen möchte, und ich glaube auch nicht, daß Sie ein Versicherungsvertreter sind. Ich möchte Sie bitten, jetzt zu gehen. Ich bin heute abend noch verabredet.“
Nicolai tritt zwei Schritte auf Weigandt zu, und einen Moment sieht es so aus, als wollte er den anderen am Arm packen und aus dem Wohnzimmer bugsieren. Weigandt reagiert sofort. Er faßt in sein Jackett, holt die Pistole heraus, geht in die Knie und zieht den Schlitten der Glock zurück. Die erste Patrone klickt in die Kammer. Er hebt die Pistole in Augenhöhe und hält sie Nicolai beidhändig vors Gesicht.
„Du gehst heute abend nirgendwo mehr hin.“
Nicolai geht weiter auf Weigandt zu, so, als hätte er die Waffe nicht gesehen. Er streckt die Rechte aus, als wollte er nach dem schwarz glänzenden Lauf greifen. Weigandt zieht die Pistole plötzlich nach links und drischt sie gegen Nicolais Schläfe. Nicolai macht einen taumelnden Ausfallschritt und stolpert gegen den Couchtisch. Als er sich mit der Hand auf dem Tisch abstützen will, trifft ihn ein Aufwärtshaken am Kinn. Er fällt in voller Länge nach hinten und knallt mit dem Kopf gegen die Heizung. Weigandt ist sofort über ihm und tritt ihm mit dem rechten Absatz in den Bauch. Er versetzt Nicolai einen zweiten Tritt in den Schritt. Der richtet sich auf, drückt beide Hände gegen die Hoden und fällt dann, immer noch schreiend, vornüber auf den Teppichboden.
Mit der linken Hand zieht Weigandt die Handschellen aus seiner Hosentasche, während er mit der Rechten weiter auf Nicolai zielt.
„Hände auf den Rücken.“
Er schwitzt, als er Nicolai die Handschellen anlegt. Nicolai liegt einige Minuten flach auf dem Boden und weint in den Teppich hinein. Er versucht, sich aufzurichten, aber Weigandt tritt ihm in den Rücken.
„Bleib so liegen.“
Nicolai würgt und erbricht sich.
Weigandt wartet einige Minuten, bis der andere sich beruhigt hat, dann rollt er Nicolai auf den Rücken und setzt ihm die Mündung der Pistole an die Stirn.
„Mit dem Rücken an die Heizung.“
Nicolai bleibt auf dem Boden liegen und wimmert leise.
Weigandt beugt sich zu Nicolai hinunter und flüstert in sein Ohr: „Setz dich an die Heizung, oder ich schieße dir hier und jetzt zwischen die
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