Die in der Hölle sind immer die anderen
Medizin-Skandal, den das Saarland je gesehen hat. Ich klage Sie in Grund und Boden, bis Sie Ihre Approbation los sind. Dann können Sie Katzenfutter aus dem Kombi über Land vertreiben.“
Sie zeigte ihn nicht an, dafür er sie. Er nahm sich den besten Anwalt für medizinische Schadenersatzklagen in Deutschland, beauftragte eine gynäkologische Koryphäe mit einem Gutachten, klagte und gewann. Meine Frauenärztin verlor ihre Approbation und wurde dazu verurteilt, hunderttausend Mark an Florian zu zahlen, damals die höchste Summe, die jemals im Saarland einem Medizinopfer zugesprochen worden war.
Ich sehe den Moment, als er mit dem Gerichtsurteil in der Hand zur Tür hereinkam, noch deutlich vor mir. Er war nicht glücklich, aber auf eine sarkastische Weise zufrieden. Er hob das Kuvert mit dem Gerichtsurteil hoch in die Luft und klatschte es dann hart auf den Küchentisch.
„Da“, rief er, „im Namen des Volkes ist deine beste Freundin ihre Existenz los. Und das ist erst der Anfang.“
Kapitel 7
In den Jahren, als er diese Reise plante, hat er zig Male alle noch so abstrusen Zufälle, die in dieser Nacht passieren könnten, im Geiste durchgespielt. Er hat mit allem gerechnet: daß Nicolai nicht zu Hause ist; daß er nicht alleine ist; oder daß er ihm ganz einfach den Zutritt verweigert. Aber all diese Gedanken hat er sich umsonst gemacht, denn schon nach dem ersten Klingeln schwingt die Tür weit auf.
„Ja, bitte?“ fragt Nicolai.
Weigandt hat Nicolai seit dem Gerichtsprozeß nicht mehr gesehen. Nicolai trägt jetzt einen Oberlippenbart und eine randlose Brille. Er hat zugenommen und sieht älter als dreißig aus. Sein unsicherer Blick, seine gekrümmte Haltung und sein ständiges Augenzwinkern sind verschwunden. Der Mann, der da in Jeans, schwarzem Designerhemd und weichen Lederschuhen vor ihm steht, hat keine Ähnlichkeit mehr mit dem Bild vom Mörder seines Sohnes, das er in seinem Kopf mit sich herumträgt. Weigandt steht einige Sekunden lang auf den Treppenstufen und sieht Nicolai stumm an, so überrascht ist er von dessen Aussehen.
Er hört Nicolai fragen: „Wer sind Sie?“
Er schaut Nicolai ins Gesicht und räuspert sich. „Es geht um die Versicherungen, um Ihre Vermögensplanung, wir hatten telefoniert.“
Der Mann in der Tür sieht über Weigandt hinweg in den im Licht der Laterne stöbernden Schnee.
„Und damit kommen Sie jetzt? Wissen Sie, wie spät es ist?“
„Es tut mir leid, Sie sehen ja das Wetter. Ich habe viel länger gebraucht, als ich dachte.“
„Wir wollten doch erst noch einen Termin ausmachen, in der kommenden Woche.“
„Bei mir ist heute ein Termin geplatzt, da dachte ich, ich schau noch schnell bei Ihnen vorbei.“
Weigandt tritt von einem Fuß auf den anderen. Ein schneidender Wind bläst um die Hauskante herum.
„Es ist zehn Uhr abends, und da wollen Sie mir Versicherungen verkaufen?“
Nicolai bleibt in der Tür stehen und macht keine Anstalten, Weigandt ins Haus zu lassen.
„Hören Sie, es wird nicht lange dauern. Ich bin den ganzen Weg von Frankfurt bis hierher gefahren, es wäre doch schade, wenn ...“
„Für Sie wär’s schade, für mich nicht“, sagt Nicolai mit einem Selbstbewußtsein, das Weigandt nicht erwartet hat, „aber gut, wenn Sie schon so weit gefahren sind, anhören kann ich es mir ja einmal.“
Weigandt streift den Schnee von seinen Schuhen.
„Unsere fondsgebundene Rentenversicherung war Testsieger bei Finanztest.“
Nicolai tritt einen Schritt zurück und läßt Weigandt herein.
„Aber wirklich nur eine halbe Stunde. Ich will heute abend noch weg.“
Weigandt folgt Nicolai durch einen dunklen Hausflur in das Wohnzimmer. Nicolai zeigt auf eine Couchgarnitur.
„Bitte.“
Da Nicolai ihm nicht den Mantel abnimmt, hängt Weigandt ihn über die Rückenlehne des gelben Sofas. Dann öffnet er noch im Stehen seinen Aktenkoffer und nimmt eine Mappe mit Klarsichthüllen heraus.
„In einer Viertelstunde sind wir fertig.“
Weigandt breitet einen Fächer von Papieren auf dem gläsernen Couchtisch aus und sieht sich dabei im Wohnzimmer um. Obwohl der Raum mit offensichtlich bescheidenen Mitteln ausgestattet wurde, wirkt die Einrichtung modern, bequem und geschmackvoll. Er sitzt auf einer senffarbenen Couchgarnitur aus weichem Leder. Das zentrale Prachtstück im Zimmer ist ein riesiger Stereofernseher, groß wie ein amerikanischer Kühlschrank, der auf einem silbernen Unterschrank steht. Eine Anbauwand, eine
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