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Die in der Hölle sind immer die anderen

Die in der Hölle sind immer die anderen

Titel: Die in der Hölle sind immer die anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Walker Jefferson
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gab er nun gleich zu Beginn der Verhandlungen zu, Florian in einem Waldstück bei St. Ingbert erst mißbraucht und dann, wie er sich ausdrückte, zu Tode gebracht haben . Zum Motiv der Tat wollte er vor der großen Jugendkammer aber keine Angaben machen. Es ist in einem Moment passiert, es ging alles so schnell , war alles, was er am ersten Tag sagte. Hier wäre die erste Möglichkeit für Frobenius gewesen, einzuhaken. Nicolais ursprüngliches Geständnis war also richtig gewesen, sein Widerruf eine Lüge. Aber Frobenius nutzte weder diese noch irgendeine andere Chance, die sich bot.
    Michael und ich nahmen tageweise abwechselnd an der Verhandlung teil. Einen Vorgeschmack auf das, was wir zu erwarten hatten, bekam ich am ersten Tag, als ich bei Gericht anfragte, ob ich für Michael und mich, meine Mutter und Michaels Eltern an bestimmten Tagen Plätze reservieren könnte. Eine junge Frau hinter einem abgewetzten Büroschreibtisch sah mich über ihre Brille hinweg fragend an, so als verstünde sie den Sinn meiner Frage nicht. Schließlich sagte sie: „Das ist doch kein Kino hier. Sie bekommen die Plätze, die Sie finden, wenn Sie reinkommen. Wenn Sie zu spät sind, dann gibt es eben keinen Platz mehr für Sie.“
    Dafür, dachte ich mir auf dem Heimweg, haben wir immer brav unsere Steuern bezahlt, bei Wahlen unsere Kreuzchen gemacht und all die bescheuerten Gesetze und Verordnungen dieses angeblichen Rechtsstaates ein Leben lang befolgt – damit dann, als wir diesen Staat zum ersten Mal brauchen, eine kleine Justizangestellte uns ins Gesicht sagen kann, daß ihr jeder noch so kleine Wunsch von uns scheißegal ist.
    Kein Mensch vermag sich vorzustellen, was es bedeutet, wenn man den Mörder seines Kindes Tag für Tag vor sich sitzen sieht, keine zehn Meter von einem entfernt. Was es heißt, mit anzuhören, wie Florians letzte Stunden von Polizisten, Gerichtsmedizinern, Psychologen, Zeugen, Sachverständigen, Verteidigern, Staatsanwälten und dem Täter geschildert, analysiert, zerredet und so lange hin- und hergedreht werden, bis alles auf eine entmenschlichte Ansammlung von naturwissenschaftlichen Fakten, psychologischen Theorien und juristischen Begriffsbestimmungen reduziert ist, ganz so, als hätte nicht ein Neunjähriger nackt und zitternd in einem Wald gestanden und auf seinen Tod gewartet.
    Einer der wenigen erfreulichen Augenblicke vor dem Eklat am Ende des Prozesses war die Aussage von Christian Schirra. Zum ersten Mal sah ich ihn in seiner Polizeiuniform. Er sah aus, als würde er geradewegs vom Friseur kommen. Er war braun im Gesicht und wirkte ausgeruht und entspannt. Nicolais Verteidigerin hatte herausgefunden, daß Schirra Nicolai und Khouraïchi Faye in die Mangel genommen hatte, und das versuchte sie ihm jetzt nachzuweisen.
    „Ist es richtig“, sagte sie zu Schirra, „daß das Alibi des Angeklagten deshalb widerrufen wurde, weil Sie diesen Herrn Faye sechsunddreißig Stunden am Stück verhört haben?“
    „Nein.“
    „Aber Sie haben Faye sechsunddreißig Stunden lang verhört?“
    „Wieso? Waren Sie dabei?“
    „Ich habe hier aber Aussagen, daß ...“
    „Sie haben gar nichts. Ich habe Faye zweimal zwei Stunden verhört. Und wenn Sie etwas anderes behaupten, dann greifen Sie damit die Integrität der saarländischen Polizei an. War das Ihre Absicht?“
    Nicolais Verteidigerin war deutlich verwirrt, aber so leicht gab sie sich nicht geschlagen.
    „Es ist doch richtig, daß Faye Belgier ...“
    „Er ist kein Belgier.“
    Die Verteidigerin hob einen Ordner in die Luft. Ihr Gesicht wurde rot und ihre Stimme schrill.
    „Hier drin steht, daß es sich um einen belgischen Staatsbürger ...“
    „Haben Sie seinen Paß gesehen?
    „Nein.“
    „Ja, sehen Sie, der war nämlich gefälscht. Faye ist kein Belgier, sondern kongolesischer Staatsbürger.
    „Können wir das überprüfen?“
    „Aber natürlich. Sie fahren in den Kongo, spüren Monsieur Faye im Urwald auf“, sagte Schirra, „lassen sich seinen Paß zeigen, und dann werden Sie feststellen, daß er, wie viele Belgier, nicht aus Belgien, sondern aus dem Kongo stammt, der war nämlich mal belgische Kolonie.“
    Hier war Lachen im Publikum zu hören.
    „Das heißt, Faye ist nicht mehr in Saarbrücken?“
    „Er wurde in sein Heimatland abgeschoben.“
    „Ich glaube, es wird schwierig werden“, ließ sich der Vorsitzende plötzlich vernehmen, „die Geschichte mit diesem Herrn Faye zu überprüfen. Wir müssen wohl davon ausgehen“, und

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