Die indische Erbschaft
glatt. Die Berührung der Banknoten schien ihr, wie dem Riesen Antäus die Berührung mit der Erde, etwas von ihrer alten Kraft zurückzugeben.
Sie hatten alle jetzt einen guten Kaffee nötig, und das starke Gebräu gab Martha nicht nur den Lebensmut, sondern sogar ihren Humor zurück, der ihr in den letzten Tagen so gänzlich abhanden gekommen war. Als es wieder läutete und Herr Schmoll von der Firma Schüller & Klapp sich unter Bezugnahme auf ein Schreiben seiner Firma vorstellte, um das neueste Modell zu einer unverbindlichen Probefahrt vorzuführen, da war es Martha, die Charlotte einen heimlichen Rippenstoß gab, sich den Wagen einmal anzusehen.
„Bist du verrückt?“ zischte Wilhelm Ströndle und griff sich an den Kopf.
„Nicht halb so verrückt wie die Leute, die uns für Millionäre halten!“ Sie ging zum Fenster und lehnte sich mit breit aufgestützten Armen weit hinaus. „Wie sie glotzen!“ kicherte sie grimmig, „die Krapproth und die Bilske und die Zollenkopf, der ich unsere Wohnung für ihren Schwiegersohn reservieren soll. Sie werden noch die Maulsperre kriegen!“ Sie winkte Charlotte zu, die gerade dabei war, in den Vorführungswagen einzusteigen. „Bissel klein für uns alle, wie?“ schrie sie herunter, „frag den jungen Mann doch einmal, ob er uns nicht etwas Besseres anzubieten hat!“ Sie stieß sich vom Fenster ab und bemerkte, daß ihre Leute sie ansahen, als ob bei ihr eine Schraube locker geworden sei. „Na wenn schon, denn schon!“ sagte sie verkniffen, „wenn es auf die Angabe ankommt, dann sollt ihr mit mir euer blaues Wunder erleben!“
Auch Charlotte spielte die Rolle der Millionenerbin recht talentvoll, allerdings verschwendete sie ihre Künste am untauglichen Objekt, denn der junge Mann, der neben ihr am Steuer saß und die Vorzüge seines Wagens mit beredten Worten pries, hatte weder den „Nacht-Expreß“ noch den „Stadtanzeiger“ gelesen. Er fand Charlotte blöd und arrogant, er vermutete, sie sei die Freundin eines reichen Mannes, der es sich leisten konnte, ihr einen Wagen zu kaufen, und er war herzlich froh, als sie sich mitten in der Stadt absetzen ließ.
Ein paar Häuser vor Helmuth Krönleins Atelier stieg sie aus.
„Du, Charlotte?“ Er war überrascht, aber die emporgezogene rechte Braue sprach nicht dafür, daß es eine freudige Überraschung war. Seine Hände waren schwarz von Zeichenkohle, und er reichte ihr zur Begrüßung nur den kleinen Finger. „Weshalb hast du dich so lange nicht sehen lassen?“
„Ich konnte nicht von daheim fort. Es gab einen Ärger nach dem andern. Und dann kamen Presseleute zu uns...“
„Ich habe die Bilder zum Frühstück genossen!“ Er feuerte eine Papierkugel, in der sie den zusammengeballten „Stadtanzeiger“ erkannte, mit einem Fußtritt unter seine Staffelei.
„Ist das alles, was du mir zu sagen hast?“
Er drehte sich wütend um und warf die Haare, die ihm in die Stirn fielen, mit einem heftigen Ruck zurück: „Ich glaube, es ist gescheiter, wenn du gehst!“ brach er los; „neulich, mit drei Schoppen auf der Lampe, habe ich noch daran geglaubt, daß ich mich an den Gedanken gewöhnen würde, mit einer Dollarprinzessin verheiratet zu sein. Aber es geht nicht, nein, zum Teufel, es geht nicht! Ich tauge nicht für die Rolle des Prinzgemahls!“
„Du bist ja verrückt!“
„Vielleicht! — Vielleicht bin ich verrückt geworden, als ich eure Bilder in dem verdammten ,Nacht-Expreß’ und im ,Stadtanzeiger’ sah. Dein Vater wie der Herzkönig, aufgeblasen und eitel, und rings herum das traute Familienleben, zum Kotzen! Und dein Gesicht, wie ich es noch nie gesehen habe, so unsäglich hold und süß, daß es mir den Magen umgedreht hat!“
„Sollte ich vielleicht weinen?“ schrie sie ihn an und zitterte vor Zorn über soviel Ungerechtigkeit und Verbohrtheit.
Er schüttelte störrisch den Kopf und sagte: „Ich weiß selber nicht, was du sollst. Ich weiß nur, was ich will, oder vielmehr, ich weiß, was ich nicht will. Und ich will nicht, daß die Leute sagen: ah, schau einmal an, es ist gar nicht so dumm von diesem Burschen, sich den goldenen Fisch zu angeln.“
„Davon haben wir beide noch vor acht Tagen nichts gewußt!“
„Ich kann mir kein Schild vor die Brust hängen, daß du noch arm und ehrlich warst, als ich dich kennenlernte.“
„Seit wann kümmerst du dich um die Meinung der Leute?“ fragte sie höhnisch, „du bist doch sonst so stolz darauf, frei und unabhängig zu
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