Die indische Erbschaft
des Hauses hatten atemlos hinter der Küchentür gelauscht. „Hast’s gehört?“ flüsterte Christa, „Konfekt für uns! Meinst nicht, wir sollten so tun, als ob wir in unser Zimmer gehen?“ Charlotte packte Christa am Kragen: „Du bleibst hier!“ zischte sie ihr ins Ohr.
Draußen hatte sich Martha so weit gefaßt, daß sie Herrn Vollrath bat, den Mantel abzulegen. Er winkte ab, er sei nur auf einen Sprung hergekommen, aber er ließ sich „für eine Sekunde“ ins Wohnzimmer nötigen.
„Aber wirklich nur für eine Sekunde!“ wiederholte er, als er im Mantel auf der Couch Platz genommen hatte, denn in die Sessel hätte er auch ohne Mantel nicht hineingepaßt, „einmal, um Ihnen meine Glückwünsche zu dem fabelhaften Ereignis persönlich zu überbringen, und zweitens, um mich eines Auftrags zu entledigen, den meine Frau mir mitgegeben hat. Sie läßt Sie nämlich bitten, morgen abend um acht unsere Gäste zu sein. Die jungen Damen und der junge Mann sind natürlich miteingeschlossen. Eine ganz kleine, interne Feier, unter uns, und ganz zwanglos.“
„Es ist uns natürlich eine Ehre“, stammelte Martha, „aber…“
„Kein Aber, verehrte gnädige Frau! Körbe entgegenzunehmen ist mir ausdrücklich untersagt worden!“
Wilhelm Ströndle hatte das Taschentuch zwischen seinen Fingern zu einer Wurst gerollt. Er schwitzte vor Peinlichkeit! „Sie sind so liebenswürdig zu uns, Herr Vollrath... Und ich verdiene es nicht, nein, ich verdiene es wahrhaftig nicht! Ich habe mich Ihnen gegenüber sehr rücksichtslos betragen, ich muß schon sagen...“
Aber Oskar Vollrath schnitt ihm das Wort vom Munde ab.
„Nichts da, mein lieber Herr Ströndle! Wenn sich jemand zu entschuldigen hat, dann bin ich es, ich ganz allein! Erzählen Sie mir nichts! Ich kenne mich! Immer auf hohen Touren, immer unter Druck, nein, nein, ich bin kein angenehmer Chef, das weiß ich. Aber lassen wir das! Und eines kann ja nun wohl der stärkste Mann nicht behaupten, daß es zwischen uns beiden jemals ernsthafte Differenzen gegeben hätte. Na also! Und in diesem Sinne möchte ich mit Ihnen anstoßen. Wie wäre es, verehrte gnädige Frau, wenn wir uns darauf einen kleinen Schluck genehmigen würden, wie?“
Martha wurde vor Verlegenheit glühend rot. Noch nie hatten sie einen Schluck Alkohol im Hause gehabt, nicht einmal an den hohen Festtagen. Wenn sie einmal ein wenig leichtsinnig sein wollten, dann wanderten sie zu den Weindörfern hinaus und tranken, wo der grüne Busch über der Tür hing, einen billigen Schoppen. Aber Herr Vollrath hatte vorgesorgt. Unter den Flaschen befand sich ein Martell, er war so alt und so edel, daß Oskar Vollrath insgeheim befürchtete, er würde sich weigern, aus der Flasche in die scheußlichen kleinen buntbemalten Likörgläser zu laufen, die Martha auf den Tisch stellen konnte. Oskar Vollrath hob sein Glas und trank auf das Wohl und auf das Glück und auf die Zukunft der Familie Ströndle. Dann aber erhob er sich, als hätte er sich schon viel zu lange auf gehalten: „Also es bleibt dabei, morgen abend um acht. Ich lasse Sie selbstverständlich abholen.“ Er versuchte tatsächlich, bei Martha einen Handkuß anzubringen, und schüttelte Wilhelm Ströndle herzlich die Hand. Das Haus war für sein Gewicht und für seine Stimme zu leicht gebaut, überall klirrten die Lampen, als er die Treppe hinunterwuchtete.
In der Küche hatten Werner, Charlotte und Christa die Geschenke aufgebaut. Nicht einmal zu Weihnachten hatte der Tisch solch üppige Dinge getragen.
8.
Auch der „Stadtanzeiger“ widmete der Sensation eine ganze Seite im lokalen Teil. Die Fotos waren dank der vorzüglichen technischen Einrichtung der Zeitung so deutlich, daß sich die Familie nicht mehr auf die Straße wagte. Mit der Morgenpost des nächsten Tages kamen siebenundachtzig Briefe.
Ein Maler erbot sich, ihre Einzelporträts mit garantierter Ähnlichkeit zu jedem annehmbaren Preis zu malen, und ein Lyriker wollte Wilhelm Ströndle als Mäzen unsterblich machen, er verlangte dafür nichts als die Bagatelle der Druckkosten. Kurz nach dem Posteingang läutete ein Lehrmädchen von der Gärtnerei Reinhardt, wo Frau Martha ihr Gemüse einkaufte, und überreichte neben einem Obstkorb ein Blumengebinde und eine Glückwunschkarte. Die konkurrierenden Lebensmittelhändler Landwehr und Krohm, bei denen Martha je nach Preis Teigwaren und Tee, Zucker und Salz, Backpulver und Mehl einholte, übersandten zwei Präsentkörbe mit ausgesuchten
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