Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
Mythenbildung abweicht, die vonder europäischen – insbesondere britischen – Geschichtsforschung des 19. Jahrhunderts gefördert wurde und die bis heute die Denkweisen der Hindu-Nationalisten prägt.
Die Arier kamen nicht als glorreiche Eroberer nach Indien, ihre Einwanderung hatte zunächst auch keine weiträumige Landnahme zur Folge, und sie brachten auch keine Hochkultur dorthin. Seit den Ausgrabungen von Mohenjo-daro, Harappa und anderen Städten weiß man, dass es lange vor der Einwanderung der Arier eine viel ältere Zivilisation auf indischem Boden gegeben hat. Im Tal des Indus und seiner Nebenflüsse hatten sich dörfliche Siedlungen zu Städten entwickelt, die ihre Handelskontakte über ein weit verzweigtes Netz von Wasserwegen abwickelten. Diese alte Kultur mit ihren urbanen Zentren wurde von den Draviden aufgebaut, die im Südosten Pakistans und in Nordwestindien lange vor der arischen Immigration heimisch waren (Parpola 1994). Sie sind also mit den Indoeuropäern nicht verwandt.
Nach dem Niedergang der Induszivilisation zerfiel die einstige Wirtschafts- und Kulturökumene in rivalisierende Kleinstaaten. Berittene Nomadenkrieger aus den Grenzgebieten wurden von den verfeindeten Draviden-Clans als Verbündete ins Land gerufen, um das militärisch-politische Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten zu entscheiden. Diese Infiltration arischer Nomadenkrieger setzte um 1700 v. Chr. ein. Wahrscheinlich waren diese Arier Träger der Swat-Kultur, die sich im Verlauf des 3. Jahrtausends v. Chr. in Nordpakistan formiert hatte. In der alten vedischen Literatur finden sich Anspielungen auf die
sapta-sindhava
(‹sieben Flusstäler›), was sich auf die Region der Swat-Kultur beziehen könnte. Im kulturellen Gedächtnis späterer Generationen, die die Ankunft der Arier in Indien als lichtbringende Landnahme glorifizierten, finden wir ein Echo der kämpferischen Natur jener Arier. In der Mythologie der vedischen Ära haben die beiden mächtigen Götter, der feuerspeiende Agni und der Blitze schleudernde Indra, den Ariern den Weg in die neue Heimat geebnet (Keay 2000: 19ff.).
Die Nomadenkrieger nahmen sich eigenmächtig Weidegründe und beraubten die Einheimischen um ihr Vieh. Schließlich verdrängtensie die lokalen Herrscher und etablierten sich als politische Elite über eine mehrheitliche Bevölkerung mit andersartiger Kultur und Sprache (s. Kap. 3). Erst allmählich folgten andere Gruppen von Viehnomaden nach und migrierten ostwärts in die fruchtbaren Täler und Ebenen des Panjab. Die Stoßrichtung der frühen Einwanderung ist in der archäologischen Hinterlassenschaft an der Verbreitung eines typischen Gefährts zu erkennen, des von Pferden gezogenen Streitwagens. In den Städten der alten Induszivilisation waren Pferde unbekannt. «Als die im Rig-Veda erwähnten Volksstämme nach Nordwestindien vordrangen, fuhren sie (
vah-
) in Streitwagen (
ratha-
) mit zwei Rädern (
cakra-
), einer Achse (
ak
a-
) und einer Deichsel (
i
a-
), die von Pferden (
aśva-
) gezogen wurden» (Parpola 1994: 158). Da alle diese Begriffe «eine verlässliche indoeuropäische Etymologie» haben, scheint klar, dass die vedische Wagentechnik von den indoeuropäischen Eindringlingen übernommen wurde, die diese technische Innovation des 2. Jahrtausends v. Chr. über Zentralasien in den Nahen Osten und nach Indien gebracht hatten.
In Indien erlebten die Nomaden einen ähnlichen Wandlungsprozess, wie ihn ihre Vorfahren einige tausend Jahre früher in Südosteuropa durchgemacht hatten. Innerhalb weniger Generationen wurden aus Viehnomaden sesshafte Ackerbauern. Entsprechend wandelte sich ihre Kultur und ebenso ihre Sprache. In peripheren Regionen wie Sind (westlich des unteren Indus), Gujarat (südöstlich des Indus) und Maharashtra (östlich davon zwischen den Flüssen Tapti und Godavari) konnten sich späte Restkulturen der Harappa-Ära noch bis um 1500 v. Chr. halten (Parpola 1994: 24ff.).
Arisch-dravidische Mischkultur. Im Milieu dieser Regionen mit ihrer damals dravidischen Bevölkerung akkulturierten sich die nomadischen Arier zu Indo-Ariern: Ackerbauern mit arisch-dravidischer Mischkultur. Dies hat deutliche Spuren hinterlassen. Im Altindischen etwa wurden Kernbegriffe agrarischer Lebensweisen aus der Sprache der einheimischen Draviden entlehnt, z.B. altind.
langala
‹Pflug›,
sali-
‹Reis›,
busa-
‹Stroh›,
rotika
‹Brot›.Im Hindi ist rund ein Drittel des Vokabulars im Bereich des Pflanzenanbaus
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