Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
dorthin gelangten. In ihren äußeren anthropologischen Merkmalen ähneln die Adivasi den Aborigines Australiens oder den Melanesiern. Ihre traditionellen Wirtschaftsformen sind der Feldbau mit Brandrodung und die Jagd. Die Geschichte der Adivasi ist die Geschichte ihrer Aryanisierung. In Indien hat sich der Prozess der Indoeuropäisierung in ähnlicher Weise auf die Urbevölkerung ausgewirkt wie in Europa, wo Ackerbauern im Kontakt mit Wildbeutern standen (wie im Baltikum) oder später russische Siedler in Gebiete mit finnisch-ugrischer Bevölkerung drangen. Die Urbevölkerung hatte die Alternativen, sich entweder in Gebiete zurückzuziehen, wo Ackerbau nicht lohnend war, oder sich zu assimilieren und die Sprachkultur der politisch dominierenden Bevölkerung anzunehmen.
Zu den Adivasi-Stammesvölkern (engl. aboriginal peoples/tribes) gehören mehr als 30 Ethnien, die größten sind heute die Santali (6 Mio.), die Gond (2,6 Mio.) und die Bhil (1,3 Mio.). Sie leben in zahlreichen isolierten Enklaven in den Wald- und Bergregionen Zentralindiens (Bundesstaaten Rajasthan, Madhya Pradesh) und Ostindiens (Bundesstaaten Orissa, Bihar, Westbengalen). Die bevölkerungsstärksten Populationen der Adivasi findet man in den südlichen Bundesstaaten Maharashtra und Andhra Pradesh.
Die Adivasi sprechen Sprachen verschiedener genealogischer Zugehörigkeit, u.a. auch austroasiatische und sinotibetische Sprachen. Diejenigen, die seit Jahrtausenden in engem Kontakt mit dravidischen oder indo-arischen Völkern leben, haben sich sprachlich assimiliert. Die Gond sprechen eine dravidische Sprache, die Sprache der Bhil ist mit den indo-arischen Sprachen verwandt. Die Adivasi haben im Lauf der Zeit, auch während der britischen Kolonialzeit und in den Jahrzehnten seit der Unabhängigkeit Indiens (1947), immer mehr von ihrem angestammten Land an die sie umgebende Mehrheitsbevölkerung verloren, von denen sie in unwirtliche Gebiete verdrängt wurden. In denvergangenen Jahren haben sie sich auch in vielen Regionen immer vehementer gegen die Übervölkerung ihrer Siedlungsgebiete durch Indo-Arier und Draviden gewandt.
Die Indo-Iranische Makrogruppierung
Die indo-arischen und die iranischen Sprachen sind eng miteinander verwandt. Sie stellen jeweils eigene Sprachzweige dar, werden wegen der besonderen Affinitäten aber unter der gemeinsamen Rubrik «Indo-Iranisch» klassifiziert. Dies ist die einzige Makrogruppierung mehrerer Sprachzweige innerhalb der indoeuropäischen Sprachfamilie. Hierzu gehören auch die nuristanischen Sprachen (Kati, Prasun, Waigali, Ashkun) als eigene Untergruppe, denn sie unterscheiden sich nach Phonetik und Wortschatz von den indo-arischen wie von den iranischen Sprachen. Die nuristanischen Sprachen haben sich in geographischer Isolation im Hindukusch (Nordost-Afghanistan) entwickelt (s. Karte im Innenumschlag).
Die näheren Beziehungen der übrigen Sprachzweige zueinander sind entweder umstritten oder mit den bisher zur Verfügung stehenden Methoden nicht eindeutig zu identifizieren (s. Haarmann 2006: 172ff. zu Postulaten über das Verhältnis des Germanischen zum Italischen, des Baltischen zum Slawischen usw.).
Es ist möglich und sinnvoll, für den indo-arischen und den iranischen Sprachzweig eine eigene, gemeinsame Protoform zu rekonstruieren, die nach Lautung und grammatischem Bau als eine Art Zwischenglied zwischen der indoeuropäischen Grundsprache und den separaten Sprachzweigen Indo-Arisch und Iranisch steht. Die Zusammengehörigkeit der indo-iranischen Gruppierung manifestiert sich in den Namenformen «arisch» und «iranisch» selbst, die beide Reflexe von
arya-
sind. Um die Nähe des Indo-Arischen zum Iranischen zu illustrieren, seien hier Parallelversionen einer Hymne in Avestisch zur Lobpreisung des Gottes Mithras wiedergegeben, dazu die ∗ rekonstruierte Protoform (nach Mallory/Adams 1997: 304):
Diese mächtige Gottheit Stark, unter den Lebenden die stärkste Mithras, ich ehre dich mit Trankopfern
Das Proto-Indo-Iranische ist als Sprache der Viehnomaden anzusetzen, die nach der Auflösung des proto-indoeuropäischen Komplexes nach Zentralasien abgewandert waren. Der Lautstand des Altindischen ist im Vergleich zum Avestischen konservativer. Dies ist beispielsweise an der Erhaltung der behauchten Laute (
bh, dh
) zu erkennen (Abb. 16).
Die Skythen. Iranische Gruppen haben die Steppenregion Europas am längsten bevölkert. Die ersten iranischen Nomaden, die namentlich bekannt sind, waren die
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