Die Indoeuropäer: Herkunft, Sprachen, Kulturen
nicht-indischen (d.h. vor-indoeuropäischen) Ursprungs, geht also auf die Sprachform der alteingesessenen Ackerbauern zurück, mit denen die Arier in engem Sozialkontakt standen und eine langfristige Kultursymbiose erlebten. Anzunehmen sind Stadien von Zweisprachigkeit, in deren Verlauf die einheimische Bevölkerung die Sprache der arischen Eliten annahm, aber lokale Sprechgewohnheiten beibehielt.
Da Phonetik und Intonation einer Sprache die stärksten Residuen sind, haben sich erwartungsgemäß Aussprachegewohnheiten der altdravidischen Bevölkerung in den Lautsystemen der indoeuropäischen Sprachen des indischen Subkontinents erhalten. Eine systemhafte Innovation ist die Kategorie der sogenannten retroflexen Laute, die als komplementäre Serie das System der regulären Dentallaute erweitern: t und, th und, d und, dh und, n und. Die Artikulationsstelle der Zunge bei der Aussprache des [t] ist die hintere Seite der oberen Schneidezähne. Das retroflexe [] wird dagegen gebildet, indem die Zungenspitze nach oben abrollt und den Gaumen berührt (vgl. Ladefoged/Maddieson 1996: 22f.). Die Entwicklung retroflexer Laute wird als dravidischer Substrateinfluss erklärt, und dadurch unterscheiden sich die indo-arischen Sprachen deutlich von der am nächsten verwandten Sprachgruppe, den iranischen Sprachen, die keine retroflexen Laute kennen.
Auch der Götterpantheon der arischen Nomaden wurde im Rahmen dieser Kultursymbiose umgestaltet. Sowohl Hinduisten als auch Buddhisten verehren die mächtige Kali, die ihren Namen ihrer äußeren Erscheinung verdankt. Kali heißt ‹die Schwarze› nach einem aus dem Altdravidischen entlehnten Adjektiv (altind.
kala-
‹schwarz›). Dieses Wort ist bis heute die Bezeichnung der schwarzen Farbe. Die Gestalt der schwarzen Göttin ist unschwer mit der Großen Göttin der Harappa-Zivilisation zu identifizieren. Die vorarische Göttin Indiens konnte sich gegen die Machtübernahme der männlichen Gottheiten der Arier behaupten und hat sogar eine Vorrangstellung erlangt. Im Königreich Bhutan ist sie noch heute die Hauptgöttin der gläubigen Buddhisten und Schutzgöttin des Landes (Harding 1993).
Die Arier stellten die politische und soziale Elite, sodass eine Kluft zwischen der herrschenden Schicht und der Mehrheit der einheimischen Bevölkerung entstand. In diesem Prestigegefälle liegt der Keim für nationalistische und ebenso rassistische Verzerrungen des historischen Bilds der Arier (s. Einleitung). Dank ihrer politischen Macht verdrängten die Arier die dravidische Bevölkerung aus dem Nordwesten Indiens in den Süden. Das Verhältnis von Indo-Ariern und Draviden war im Laufe der politischen Geschichte Indiens in manchen Perioden gespannt, in manchen eher kooperativ. Dies gilt auch für Gebiete außerhalb Indiens, wo beide Gruppen in Nachbarschaft zueinander leben. Bis in unsere Tage produzieren die ungelösten Probleme im Kontakt zwischen Tamilen (Draviden) und Singhalesen (Indo-Arier) in Sri Lanka permanenten ethnischen Konfliktstoff.
Dass die Indo-Arier entgegen früheren Vorstellungen nicht die erste Hochkultur in Indien begründet haben, schmälert keineswegs die Errungenschaften indoeuropäischer Populationen in Indien und, über die Ausbreitung des Hinduismus und Buddhismus, in Südostasien. Das sprachliche Medium der indo-arischen Hochkultur mit der längsten Tradition ist das Sanskrit. Später kam Pali als heilige Sprache des Buddhismus hinzu. Die Weisheit indischer Philosophen und Religionsstifter war ebenso hochgeschätzt wie das Know-how indischer Mathematiker, deren Wissen weit über Indien hinaus ausstrahlte, nach Südostasien, China und in die klassisch-arabische Welt. Astronomen und Mathematiker aus Indien kamen im 8. Jahrhundert als Lehrer nach Bagdad und legten dort das Fundament für die arabische Gelehrsamkeit späterer Zeit. Wir Europäer profitierten später davon mit der Einführung der indisch-arabischen Zahlzeichen (Haarmann 2008a: 108ff.).
Die Urbevölkerung im Kontakt mit den Indo-Ariern. Zu den Populationen, die von den Indo-Ariern allmählich aus ihren angestammten Siedlungsgebieten verdrängt wurden, gehören auch die ethnischen Gruppen der Adivasi, die Nachkommen der dunkelhäutigen Urbevölkerung. Die Vorfahren der Adivasi, die auchkollektiv als Stammesvölker bezeichnet werden, waren von Westen her nach Südasien eingewandert und siedelten über den ganzen indischen Subkontinent verstreut, lange bevor dravidische Völker und später Indo-Arier
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