Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
Untersuchung war im übrigen neben dem zuständigen Diözesanbischof Stefan Bodecker sowie dem von ihm bestimmten Inquisitor Johann Kannemann, einem Franziskaner und Erfurter Theologieprofessor, Kurfürst Friedrich von Brandenburg selbst aktiv. Auch die Städte zogen nicht selten Ketzer vor eigene Gerichte. Gegenüber den Aktivitäten der weltlichen Gerichtsbarkeit traten die päpstlichen Inquisitoren an Bedeutung weit zurück, eine Tendenz, die bereits in die Frühe Neuzeit weist.
Von den regelmäßig ernannten päpstlichen Ketzerbeauftragten der Spätzeit haben wir, wenn überhaupt, nur sehr sporadische Nachrichten. Der letzte Inquisitor im Kerngebiet des Reiches,von dem wir ausführliche Tätigkeitsnachweise besitzen, ist Jacob von Hochstraten (ca. 1460–1527), Prior des Kölner Dominikanerklosters und als solcher zugleich Inquisitor in den Kirchenprovinzen Köln, Mainz und Trier. In Wort und Tat kämpfte er gegen die Vertreter der frühen Reformation. Bereits seit 1509 war er gegen den Humanisten Johannes Reuchlin vorgegangen, der mit dem getauften Juden Pfefferkorn in einen heftigen literarischen Schlagabtausch um den ketzerischen Charakter des Talmuds und anderer jüdischer Schriften verstrickt war. Reuchlin appellierte nach Rom und hatte zunächst Erfolg: Der Papst beauftragte den Bischof von Speyer mit der Entscheidung; dieser sprach den Humanisten vom Verdacht der Häresie völlig frei, legte dem Inquisitor die Kosten des Verfahrens auf und drohte ihm bei Ungehorsam mit der Exkommunikation. Die Humanisten bejubelten ihren Erfolg und setzten dem Inquisitor ein wenig schmeichelhaftes Denkmal in den satirischen «Dunkelmännerbriefen». Doch erwies sich der Jubel als verfrüht, die Dominikaner setzten Rom unter Druck und erreichten im Gefolge der Luthersache doch noch eine verspätete Verurteilung Reuchlins. Der protestantischen Ketzerei stellte sich in Deutschland jedoch kein Inquisitor mehr erfolgreich in den Weg. Die Gründe für die Schwäche der päpstlichen Inquisition in Deutschland sind vielfältig. Einmal war die Herausforderung der Ketzerei nicht so massiv wie im Süden, so daß die Reaktion eher moderat ausfiel und sich z.B. die institutionelle Ausprägung (Helfer, Ressourcen) in Grenzen hielt. Zum zweiten war die territoriale Zersplitterung des Reiches dafür verantwortlich, daß die Träger der Verfolgung je nach politisch-rechtlichem Kontext wechselten. Eine eher schwache päpstliche Inquisition bedeutete keineswegs die Abwesenheit von Ketzerverfolgungen.
4. Strukturen, Arbeitsweise, Grenzen
War die mittelalterliche Inquisition eine Institution? Manche Historiker bestreiten das. So spricht der Rechtshistoriker Edward Peters zwar von «den Inquisitoren» und «dem Inquisitionsverfahren», lehnt aber die Rede von «der» Inquisition alsunhistorisch ab. Was aber versteht man unter einer Institution? Im engeren Sinn könnte man sie definieren als eine formale Organisation, die auf Dauer angelegt ist, die bestimmte Ämter und wahrscheinlich eine abgestufte Hierarchie ebenso aufweist wie ein materielles Substrat, sprich Besitz. Im weiteren Sinn faßt man unter ‹Institution› alle sozialen Gebilde, die Ordnung und Dauer besitzen bzw. eine solche dauerhafte Ordnung behaupten. Ordnung und Dauer sind nach diesem Verständnis also weniger einfach da, sondern müssen immer wieder symbolisch zur Geltung gebracht werden, um soziale Wirkung zu entfalten. Gleich, ob man ein enges oder ein weiteres Verständnis zugrunde legt, wird man der mittelalterlichen Inquisition ‹Institutionalität› nicht absprechen können. Skepsis gegenüber einer anachronistischen Verzeichnung der Inquisition als einer Super-Institution nach modern-totalitärem Vorbild erscheint dennoch berechtigt. Deswegen sollen hier neben der Struktur und der Arbeitsweise auch die zum Teil engen Grenzen inquisitorischen Wirkens zur Sprache gebracht werden.
Der institutionelle Kern der Inquisition bestand aus zwei Hauptelementen: Da war einmal der
inquisitor heretice pravitatis
, jener «vom Papst mit delegierter Gerichtskompetenz ausgestattete Ketzerverfolgungsspezialist» (Segl), der selbständig die Untersuchungen führte; und zum anderen gab es das spezielle inquisitorische Verfahren, wie es früh in den Handbüchern fixiert worden ist. Daran, daß schon bald nach dem Beginn ihrer Beauftragung die Tätigkeit der päpstlichen Sonderermittler als ein Amt (
officium
) verstanden wurde, gibt es keinen Zweifel. Von seinen Anklägern wurde z.B.
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