Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
Bernard Délicieux 1319 beschuldigt, eben dieses Amt beschädigt zu haben; er beharrte dagegen darauf, lediglich die Mißbräuche einzelner Inquisitoren an den Pranger gestellt zu haben. Zumindest regional bestand eine Kontinuität in der Ernennung von Inhabern dieses Amtes, ebenfalls ansatzweise eine Hierarchie in Gestalt von übergeordneten Generalinquisitoren. Vor allem in Südfrankreich und Italien besaß die Inquisition eigene Gebäude zur Abhaltung ihrer Befragungen und zur Verwahrung der Gefangenen, ebenso Archive, um ihre Protokolle zu verwahren. Überdies standen die Inquisitorennicht allein: Sie hatten einen Stab von Helfern zur Verfügung, gelehrte Notare und Schreiber ebenso wie einfache Handlanger (
familiares
), die Hilfsdienste ausführten und dafür in den Genuß von rechtlichen Privilegien und Waffenbesitz kamen.
Verfahrensnormen: Die Inquisition war nicht bloß eine formale Organisation. Ihr eigentlicher institutioneller Kern bestand vielmehr in der Tradierung eines professionellen Know-Hows. Dazu gehörte zum einen das Spezialwissen über Merkmale, Erkennungszeichen und Gegenstrategien der einzelnen häretischen Bewegungen. Und dazu gehörte vor allem ein besonderes prozessuales Verfahren zur Ketzerbekämpfung. Inquisition, das war vor allem ein Korpus an explizit formulierten Zielen, Regeln und Praktiken, das – modifiziert – sowohl die Grenzen der päpstlichen Akteure als auch die Zeitwende zur Moderne überschritt und auch die neuzeitlichen Inquisitionen prägen sollte. Dieses tradierte Wissen der Inquisition wurde von einer ganzen Reihe von Handbüchern überliefert. Diese «Manuale» über das Vorgehen der Inquisitoren waren in der Frühzeit recht bescheiden. Das erste derartige Dokument entstand 1242 unter Federführung von Raymund von Peñaforte und umfaßt in der modernen Edition gerade einmal 10 Seiten; es regelte die Verfahrensweise der Inquisition in der aragónesischen Kirchenprovinz Tarragona. Ähnlich verhält es sich mit dem zwei Jahre später entstandenen, wegweisenden südfranzösischen
Ordo processus Narbonensis
. Dieses 1244 von Wilhelmus Raimundi und Petrus Durandi verfaßte Handbuch war der Form nach kein zusammenhängender Traktat, sondern eine Sammlung von Formularen. Mit der Zeit nahmen die Manuale an Umfang zu und wurden zu regelrechten Handbüchern.
Einer der heute bekanntesten Traktate wurde von Bernard Gui (1261/62–1331) verfaßt, Prior des Dominikanerklosters im südfranzösischen Albi, päpstlicher Nuntius und später Bischof von Lodève in den Cevennen. Gui, dessen Person Umberto Eco in seinem Roman
Der Name der Rose
verfremdete, übte 1307–1316 das Amt eines Inquisitors von Toulouse aus und war ab 1319/21 noch einmal für einige Jahre Inquisitor von Toulouse,Albi, Carcassonne und Pamiers. Seine zwischen 1309 und 1323/25 entstandene
Practica inquisitionis haereticae pravitatis
verarbeitet diese Erfahrungen, wurde allerdings im Spätmittelalter wenig rezipiert. Anders verhält es sich mit dem
Directorium Inquisitorum
des Dominikaners und zeitweiligen Generalinquisitors von Aragón, Nicolaus von Eymerich, aus dem Jahr 1376. Als ein weitläufiges, systematisch aufgebautes Wissenskompendium stellte es ein Inquisitorenhandbuch neuen Typs dar. Der erste seiner drei Teile beschäftigt sich mit der übergreifenden Definition von Häresie und liefert sodann eine mehrschichtige Typologie der Ketzerei. Der zweite Großabschnitt gibt eine Schilderung des inquisitorischen Procedere von den ersten, informellen Nachforschungen bis hin zur Urteilsfindung. Im dritten Teil dann werden insgesamt siebzig Fragen zur Autorität und zu den Befugnissen der Inquisitoren, zum Prozeßverfahren und zur Rolle aller Beteiligten formuliert und beantwortet. Der systematische und umfassende Zuschnitt des Werkes sicherte ihm eine große Wirkung. Als erstes Inquisitionshandbuch wurde es 1503 gedruckt, 1578 glossiert und erweitert. Wie kein anderes Werk verkörpert das
Directorium
damit die institutionelle Kontinuität der Inquisition vom Mittelalter in die Neuzeit.
Bereits der
Ordo processus Narbonensis
läßt die wichtigsten Stationen des inquisitorischen Verfahrens erkennen. Es beginnt mit dem Eintreffen des päpstlichen Gesandten und einer Aufforderung an die gesamte Bevölkerung zum Bekenntnis der Schuld. Alle Volljährigen (Frauen ab 12, Männer ab 14) sollen eventuelle Vergehen an einem bestimmten Tag und Ort vor der Inquisition bekennen. Wer freiwillig und ohne namentliche Aufforderung
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