Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
bußwillig und aussagebereit erscheint, dem wird – falls es sich nicht um einen rückfälligen Ketzer handelt – schonende Behandlung zugesichert. Zum ersten Mal taucht hier die Gnadenfrist (
tempus gratiae
) auf, während der freiwilliges Bekenntnis mit Strafnachlaß oder gar -freiheit belohnt wird; sie sollte in Zukunft einen festen Bestandteil des Verfahrens bilden. Die Geständigen müssen nicht nur der Ketzerei abschwören, sondern zugleich den Schwur leisten, andere Häretiker zu denunzieren. Zur Befragung der Geständigen enthält das Handbuch einen reichhaltigenFragenkatalog (
interrogatorium
) über die Ketzereien der Katharer und Waldenser: Gefragt werden soll, ob jemand einen Häretiker gesehen habe, wo und wann, wie oft und mit wem, ob er Predigten gelauscht habe, ob er einen Ketzer beherbergt oder geführt habe etc. Aussagen oder Geständnisse sollen in Anwesenheit mindestens eines Inquisitors und zweier Zeugen aufgeschrieben und notariell beglaubigt werden; alle Zeugen und Eidesleistungen sollen verschriftlicht und auch diejenigen registriert werden, die nichts gestehen wollen.
Wer nicht freiwillig gesteht, gegen den aber Indizien und Verdachtsmomente sich angehäuft haben, der soll einzeln und namentlich vorgeladen und verhört werden. Eine Verteidigung, so betont der
Ordo
ausdrücklich, sei möglich. Allerdings sollen den Verdächtigen die Namen der Zeugen – entgegen dem herkömmlichen Gebrauch – nicht angegeben werden. Das Schicksal der Verhörten soll gemeinsam mit anderen Prälaten beraten werden. Wer abschwört, erhält die Absolution, wird ggf. von der Exkommunikation befreit und erhält eine Strafe, in der Regel Gefängnis. Absolvierte Ketzer können jedoch auch zu anderen Sanktionen verurteilt werden, namentlich zum Tragen von Bußkreuzen oder zu Bußwallfahrten. Hartnäckige und rückfällige Ketzer schließlich werden definitiv exkommuniziert und an den weltlichen Arm übergeben. Die Todesstrafe ist nicht ausdrücklich erwähnt, weil die Kirche nach altem Gesetz selbst nicht nach Blut dürstet; über die tödlichen Konsequenzen der Überstellung an das weltliche Gericht kann jedoch kein Zweifel bestehen. Diese Tatsache wird auch durch die ausdrückliche Verdammung der Erinnerung an bereits verstorbene Ketzer (
damnatio memoriae
) unterstrichen, deren Knochen ausgegraben und verbrannt werden sollen.
Die zukunftsweisenden Bestimmungen des
Ordo
von 1244 sparen viele Aspekte des Inquisitionsprozesses aus, z.B. die Güterkonfiskation, die immerhin prinzipiell für rechtmäßig erklärt wird. Deutlich ist schon in dieser Fassung das enorme Ungleichgewicht zwischen der Position der Beklagten und den Anklägern, die zugleich Richter waren. Die Stellung der Beschuldigten sollte sich in der Folgezeit noch weiter verschlechtern. Die Einleitungeines Verfahrens konnte jetzt auch durch Denunziationen von Privatpersonen erfolgen. Die Bestimmung über die Geheimhaltung der Zeugennamen gegenüber dem Angeklagten, zur Sicherheit der Zeugen getroffen, konnte in der Praxis dazu führen, daß ihm auch entscheidende inhaltliche Passagen vorenthalten blieben. Und während beim üblichen Rechtsverfahren Verwandte, Minderjährige, schlecht Beleumundete, Verbrecher und Mittäter nicht zeugnisfähig waren, wurden sie im inquisitorischen Ketzerprozeß zugelassen. Die Rechte der Verteidigung und der Appellation wurden weiter eingeschränkt. Schwer wog vor allem die Erlaubnis, im Inquisitionsverfahren auch körperlichen Zwang einzusetzen, um die Ketzer zum Geständnis und zur Denunziation zu bewegen (Bulle
Ad extirpanda
, 1252). Zur Zeit Innozenz’ IV. war es den Inquisitoren noch nicht erlaubt, persönlich die Folter anzuordnen bzw. dabei anwesend zu sein. Papst Alexander IV. beseitigte allerdings schon zwei Jahre später auf indirektem Wege dieses Hindernis, indem er den Inquisitoren erlaubte, sich wegen dieser Irregularität gegenseitig die Absolution zu erteilen, und ihnen damit die Aufsichtsführung über die Tortur gestattete.
Inquisitionspraxis: In der historischen Erinnerung ist die Inquisition vor allem mit grausigen Folterpraktiken verknüpft. Zweifellos hatte die Erlaubnis zur Anwendung der körperlichen Peinigung im Inquisitionsverfahren eine verheerende Wirkung. Bereits als allgegenwärtige Drohung und somit als psychisches Zwangsmittel entfaltete sie sicherlich ihre Wirkung. Allerdings hat die Inquisition die Folter keineswegs erfunden. Als Mittel zur Erzwingung von Geständnissen im Kontext von
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