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Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Titel: Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Inquisitors ab. Nach kanonischem Recht mußte ein solcher mindestens vierzig Jahre alt, rechtskundig und lebenserfahren sein. In erster Linie aber sollte ein mittelalterlicher Inquisitor Geistlicher und Seelsorger sein, ein kluger Seelenarzt, der für jede Krankheit das entsprechende Heilmittel bereithielt. Zu seinen Zielen gehörte die Reinerhaltung des christlichen Glaubens ebenso wie die Rettung einzelner Häretiker vor der ewigen Verdammnis. Christliche Milde war den Ketzerverfolgern nicht fremd. Ebensogut aber konnten sie im Bewußtsein ihrer heiligen Mission skrupellosund ohne genaue Beachtung der Verfahrensregeln die Ausrottung der Ketzerei betreiben.
    Urteile: Neben dem Zusammenspiel von zermürbender Kerkerhaft und geschickter Verhörstrategie war es vor allem das Sanktionsinstrumentarium der Inquisition, das ihren Erfolg ausmachte. Auch hier ging es zunächst um Reue und Buße, modern gesprochen um Gewissens- und Verhaltenskontrolle, und nicht in erster Linie um Rache und Vergeltung; nur hartnäckige und rückfällige Ketzer durften hingerichtet werden. Als flexibles Instrument der Strafzumessung stand wiederum das Gefängnis an erster Stelle. Die Länge der Haft und ihre Härte – es wurde zwischen
murus durus
und
murus largus
unterschieden – ließen sich je nach Fall fein dosieren. Dasselbe gilt für die vielfältigen privat oder öffentlich zu leistenden Bußen. Zu den wichtigsten gehörte der Zwang zum Tragen von Bußgewändern mit aufgenähten, deutlich sichtbaren gelben Kreuzen. Das bereits 1244 fixierte Verbot, die so stigmatisierten Büßer zu belästigen, deutet an, wie sehr sie dadurch der sozialen Kontrolle durch ihre Umwelt ausgesetzt waren. Das erschwerte einen Rückfall in alte häretische Gewohnheiten. Nicht selten schuf man sich damit eine zur Überanpassung bereite Gruppe von Kollaborateuren, die als
familiares
und Denunzianten der Inquisition nützliche Dienste leisteten.
    Todesurteile oder präziser: die Überstellung an den weltlichen Arm, die dann unweigerlich den Scheiterhaufen nach sich zog, waren ein wichtiges, keineswegs aber ein vorherrschendes Strafmittel. So entschied Bernard Gui zwischen 1308 und 1323 ausweislich seines erhaltenen Urteilsbuches an 18 Gerichtstagen über insgesamt 930 Ketzer. Insgesamt 42 davon verurteilte er zum Tode, 307 zu dauernder Kerkerhaft. Rund einem weiteren Drittel der Delinquenten wurden öffentliche Bußleistungen oder die Stigmatisierung mit dem gelben Kreuz auferlegt. Das ist eine vergleichsweise harte Urteilspraxis, auch wenn man bedenkt, daß vielleicht ein Drittel aller derjenigen, die sich vor ihm zu verantworten hatten, freigesprochen wurden. Etliche Kollegen von Gui urteilten milder. Bernard de Caux, auch er Inquisitorvon Toulouse, hatte im Jahr 1246 nachweislich 207 Urteilssprüche gefällt, darunter kein Todesurteil und lediglich 23 Gefängnisstrafen, von denen wiederum neun nicht angetreten wurden. Die Regelstrafe war das Tragen des Kreuzes. Auch Geoffroy d’Ablis, zwischen 1303 und 1316 Inquisitor in Carcassonne und damit direkter Kollege von Gui, scheint vornehmlich zeitlich begrenzte Haftstrafen ausgesprochen zu haben, mit der Konsequenz, daß viele der Bestraften später von Bischof Fournier erneut vor sein Gericht zitiert wurden. Natürlich gibt es auch Beispiele für massenhaft lodernde Scheiterhaufen. Nach dem Attentat von Avignonet und der Kapitulation der Ketzerfestung von Montségur wurden 200 Katharer dem Scheiterhaufen überantwortet; erinnert sei auch an die im Februar 1278 in der Arena von Verona verbrannten 166 Ketzer oder die Massenhinrichtungen in Südböhmen in den 1340er Jahren. Aber das war nicht die Regel: Yves Dossat hat geschätzt, daß insgesamt lediglich ein Prozent der Angeklagten vor der Inquisition mit dem Feuertod bestraft wurden.
    Grenzen der Macht: Die Inquisition war eine Institution, im Ansatz sogar eine festgefügte Organisation. Aber sie war dies nicht nach dem Maßstab moderner, bürokratisierter Massenverfolgung, sondern nach der Elle mittelalterlicher Institutionalität. Stark und aktiv war die Inquisition jeweils nur für eine überschaubare Zeitdauer in einem begrenzten regionalen oder sogar lokalen Rahmen. Ihre Durchschlagskraft hing dabei entscheidend von den jeweiligen Machtkonstellationen ab, die wiederum sowohl die politische Großwetterlage der europäischen Politik als auch die regionalen Mächte betreffen konnten. Als zentralen Akteuren im Kräftespiel, das über Erfolg oder Mißerfolg

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