Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
war damals noch nicht abzusehen. Was aber waren die Motive der katholischen Könige? Ferdinand und Isabella sahen sich in diesen Jahren mit inneren Unruhen ebenso konfrontiert wie mit dem langen und kostspieligen Krieg gegen das muslimische Königreich von Granada. Die Sicherung der politischen Loyalitäten stand auf der Tagesordnung, und die Herstellung bzw. Bewahrung religiöser Einheit wurde im vormodernen Europa ganz selbstverständlich als die Kehrseite dieser Medaille gesehen. Vor diesem Hintergrund läßt sich der Ausbau der Inquisition als eine Maßnahme zur inneren und äußeren Konsolidierung verstehen. Allerdings nahmen trotz des harten Vorgehens gegen angebliche «Judaisierer» andere
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weiterhin hohe Staats- und Hofämter ein. Von einer prinzipiell antisemitischen Einstellung Ferdinands und Isabellas wird man also nicht sprechen können. Gegen das Bild einer von vornherein geplanten, rassistisch motivierten und konsequent angelegten ethnischen Purifizierung der Iberischen Halbinsel spricht auch die Tatsache, daß die Masse der ehemals jüdischen Neuchristen unbehelligt blieb; man hat geschätzt, daß höchstens ein Zehntel aller
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(25.000) bis 1520 vor die Inquisitionstribunale zitiert wurden. Die unter christlicher Herrschaft lebenden Muslime blieben vorerst vollends unbehelligt. Wahrscheinlich folgte die Einrichtung der Inquisition also keinem langfristig angelegten Plan, sondern muß als eine situative Maßnahme gesehen werden, die eine Eigendynamik entwickelte und sich stufenweise radikalisierte.
Die neue, beide Kronen übergreifende Inquisition stieß namentlich in Aragón auf starke Widerstände und Vorbehalte. Aufgrund der tiefverwurzelten alten Gewohnheitsrechte (
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) empfanden die Stände die Neuformierung der Inquisition als Übergriff einer fremden, eben kastilisch geprägten Einrichtung und somit als flagrante Rechtsverletzung. Namentlich die Ernennung des bereits in Kastilien tätigen Torquemada zum Generalinquisitor von Aragón, Katalonien und Valencia durchKönig Ferdinand am 17. Oktober 1483 stieß an vielen Orten seines Reiches auf erbitterte Gegenwehr, die z.T. mit militärischer Gewalt gebrochen werden mußte. Dieser Widerstand gipfelte im September 1485 in der Ermordung des Inquisitors Pedro Arbués; trotz Kettenhemd und Stahlhaube unter dem Habit wurde der Dominikaner vor dem Hochaltar der Kathedrale von Saragossa getötet. Nach dem bekannten mittelalterlichen Muster erreichte auch diese Verschwörung das Gegenteil des Erwünschten. Sie führte zu einer Dramatisierung der häretischen Gefahr und zu einer erhöhten Akzeptanz der Inquisition, die ein drakonisches Strafgericht hielt. Langfristig gelang es König Ferdinand, mit dem Instrument der Inquisition seine Autorität zu festigen und lokale Autonomien zu schwächen.
Die Verschwörung von Saragossa bringt einen anderen möglichen Entstehungsgrund der Inquisition ins Blickfeld: Gab es nicht tatsächlich ein weit verbreitetes «Krypto-Judentum» unter den Neuchristen? Lag der Gründung der Inquisition, zumindest nach den Maßstäben der Zeitgenossen, nicht das legitime Ziel der Gefahrenabwehr neuchristlicher Ketzereien zugrunde? Wohl kaum ein Problem im Umfeld unseres Themas ist bis heute so umstritten wie dieses. Historiker wie Netanjahu bestreiten grundsätzlich die Existenz einer nennenswerten Zahl von Krypto-Juden und betonen dagegen mögliche außerreligiöse Motive wie Rassismus, finanzielle Interessen oder politische Instrumentalisierung. Wäre diese Diagnose korrekt, dann hätte die Inquisition in den 1480er Jahren mit ihren Anklagen und Verfolgungen erst diejenige Gefahr konstruiert und dramatisiert, die sie zu bekämpfen vorgab. Andere (etwa Haim Beinart) setzen dagegen, daß noch für spätere Generationen von Neuchristen viele Hinweise auf ein jüdisches Untergrundnetzwerk existierten und die Anklagen keineswegs alle aus der Luft gegriffen seien. Die Wahrheit liegt wohl in der Mitte. Die Existenz einiger «Krypto-Juden» steht außer Zweifel. Die Masse der Neuchristen um 1480 aber waren wohl mehr oder minder überzeugte Christen. Das schloß Sympathien mit den Juden ebensowenig aus wie die Praktizierung eigenwilliger Riten und Überzeugungen – auch ihre altchristlichen Nachbarn lebten unddachten ja keineswegs immer so, wie die katholische Kirche es verlangte.
Zweifellos trug die Tätigkeit der Inquisition zwischen 1480 und 1492 zur öffentlichen Wahrnehmung nicht nur der
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, sondern
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