Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
der jüdischen Bevölkerung insgesamt als Gegengesellschaft, als gefährliche Randgruppe entscheidend bei. In dieser Frühphase waren die
Conversos
– in einer Größenordnung von über 90 % – die absolut wichtigste Zielgruppe der Inquisition. Diese Fixierung auf die geheimen «Judaisierer» mußte zwangsläufig zu deren massenhafter Entdeckung führen. Häufig bekannten sich
Conversos
ohne direkten Zwang zu ihrer Sünde; wenn das Edikt der Gnade verkündet wurde, hatten die Betroffenen ja dreißig oder vierzig Tage Zeit, sich selber zu beschuldigen und nach einer leichten Buße von der Kirche wieder aufgenommen zu werden. So füllten Hunderte und Tausende bußwillige
Conversos
die Gefängnisse der Inquisition. Selbstbeschuldigung, Buße und Rehabilitation erschien ihnen offensichtlich als ein kalkulierbares Risiko, als geringer Preis für künftige Sicherheit. Vor allem konnte man sich auf diese Weise vor der Konfiskation der eigenen Güter schützen, indem man eine Geldzahlung an die Inquisitoren leistete – eine sehr willkommene Einkommensquelle für die Ketzerverfolger.
Judenvertreibung und Converso-Problem: Nach 1492 erlangte die Inquisition der
Conversos
eine neue Qualität, denn aus diesem Jahr datiert der Beschluß der Könige Ferdinand und Isabella, sämtliche Juden aus ihrem Herrschaftsgebiet auszuweisen, die sich nicht der Taufe unterwarfen. Ausweisungsbeschlüsse gegen Juden hatte es in den Jahrhunderten zuvor in vielen Teilen Europas gegeben. Stets aber waren kleine jüdische Minderheiten betroffen. In Spanien dagegen stellten die Juden trotz der Aderlässe der vorausgegangenen Jahrzehnte mindestens 80.000 Menschen aller Bevölkerungsschichten, vom reichen Kaufmann über Beamte und Ärzte bis hin zu armen Handwerkern und Bauern. Der Ausweisungsbeschluß stellte die Betroffenen vor schier unlösbare Probleme. Viele von denjenigen, die in andere christliche Herrschaftsbereiche oder auch ins muslimischbeherrschte Afrika gegangen waren, kehrten nach kurzer Zeit zurück und taten das, was die anderen Glaubensgenossen bereits früher getan hatten, um der Ausweisung zu entgehen: Sie ließen sich taufen.
Die Gründe für das Ausweisungsdekret sind ebenso komplex (und umstritten) wie diejenigen für die Gründung der Inquisition. Wirtschaftliche Motive scheiden weitgehend aus, denn ökonomisch erschien die Ausweisung bereits vielen Zeitgenossen als kontraproduktiv. Maßgeblich waren eher politische Motive. Es handelte sich um einen weiteren Schritt, um die staatliche und die religiöse Einheit zur Deckung zu bringen, ein Schritt zumal, der den starken rassistischen und antisemitischen Kräften Tribut zollte. Die Dramatisierung der
Converso
-Gefahr durch die inquisitorischen Verfolgungsmaßnahmen trug sicherlich ihren Teil dazu bei, nach radikalen Auswegen zu suchen. Die Folge war ein verhängnisvoller Kreislauf. Mit Vertreibungsbeschluß und massenhaften Zwangstaufen wurde nun in großem Maßstab derjenige Personenkreis produziert, der in der Folge ins Fadenkreuz der Inquisition gelangten mußte. Über Juden konnte die christliche Inquisition kaum Jurisdiktionsbefugnisse beanspruchen; waren diese aber erst einmal zum Christentum bekehrt, so stellten heterodoxe oder jüdische Praktiken einen Abfall vom christlichen Glauben dar und konnten somit als Häresie von der Inquisition verfolgt werden. Die Umstände der Zwangstaufen von 1492 legen den Schluß nahe, daß nach diesem Zeitpunkt tatsächlich ein großer Kreis von Krypto-Juden existierte. Wirkliche christliche Überzeugung wird man, jedenfalls kurz- und mittelfristig, kaum unter den massenhaft Zwangsbekehrten erwarten dürfen. Paradoxerweise verschärfte damit der Vertreibungsbeschluß gegenüber den Andersgläubigen die religiösen Verfolgungen innerhalb des Christentums und gab ihnen neue Plausibilität.
Die ersten fünfzig Jahre der Spanischen Inquisition, die Phase zwischen 1480 und 1530, waren in vielerlei Hinsicht ihre aktivste Zeit. Angaben über die absolute Zahl der Verfahren sowie über den Anteil schwerer Strafen gehen weit auseinander. Die Schätzung von 50.000 Inquisitionsopfern allein bis zum Jahr 1512 markiert wahrscheinlich eine absolute Obergrenze; jedenfallsmüssen darin auch diejenigen eingerechnet sein, die freiwillig bekannten, eine leichte Buße leisteten und nicht auf einem Autodafé erscheinen mußten. Wahrscheinlich fielen insgesamt zwischen 50 und 75 Prozent aller Verfahren der dreihundertjährigen Inquisitionsgeschichte in
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