Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
überaus zeit- und geldaufwendiges Unternehmen. So blieb die Effizienz der Kontrollmaßnahmen begrenzt und sowohl regional als auch thematisch uneinheitlich. Das traditionelle Bild einer bedrückten und unfreien intellektuellen Kultur in Spanien ist deshalb überzogen, zumal es auch in anderen frühneuzeitlichen Staaten ein System der Bücherzensur gab. Zweifellos förderte die Inquisition mit ihrer Politik aber die geistige Isolation und die intellektuelle Selbstgenügsamkeit der Iberischen Halbinsel, trug zur Abschottung von neuen, fremden Ideen bei und verstärkte die bisweilen rassistische Züge annehmende Fremdenfeindlichkeit.
Erneute Converso-Verfolgung: Die Verfolgungspraxis der Spanischen Inquisition war, was Intensität und Zielgruppen anging, während ihrer gut dreihundertjährigen Existenz von bestimmten Konjunkturen gekennzeichnet; Jean-Pierre Dedieu hat von den «quatre temps» dieser Inquisition gesprochen. Die insgesamt 11458 zwischen 1481 und 1820 vor dem Tribunal von Valencia verhandelten Fälle z.B. verteilen sich auf ganz charakteristische Art und Weise: In den ersten fünfzig Jahren bis 1530 dominiert das Vorgehen gegen die
Conversos
. 2160 von 2354 Fällen, also 91,8 Prozent, lassen sich hier zuordnen. In der Zeit zwischen 1560 und 1620 (für 1530–1560 fehlen die Akten) stechen mit einem Anteil von 73,2 Prozent (2465 von 3366 Fällen) die Aktivitäten gegen die
Moriscos
hervor. Die verstreuten Prozesse gegen – meist auswärtige – Protestanten als dritte Großgruppe unter den Häretikern fallen zahlenmäßig in Valencia kaum ins Gewicht und bleiben auch andernorts hinter den
Converso
- und
Morisco
-Verfahren zurück. Nach 1620 konzentrierte sich die Inquisition in Valencia auf die moralischen und religiösen Defizite der altchristlichen Bevölkerungsmehrheit. Die Inquisition in Toledo hatte sich dieser Vergehen – namentlich Verbaldelikte wieBlasphemie – bereits seit 1530 verstärkt angenommen. Zwischen 1561 und 1620 überwogen hier allein die Anklagen wegen unorthodoxer Äußerungen, sogenannten
propositiones
(1087), diejenigen gegen neuchristliche oder protestantische Ketzer (843) bei weitem. Diese und andere Daten zeigen nicht zuletzt, wie individuell die Aktivitäten einzelner Tribunale – trotz bestimmter übergreifender Trends – waren. Das gilt verstärkt für das inquisitorische Wirken in der Neuen Welt. In Mexiko etwa waren lange lediglich einzelne Mönche oder Bischöfe als päpstlich approbierte Inquisitoren gegen gotteslästernde Konquistadoren, häretische
Conversos
, durchreisende Protestanten oder idolatrieverdächtige Indianer vorgegangen, bevor 1570 ein förmliches Inquisitionstribunal seine Arbeit aufnahm. Die mindestens tausend Prozesse, die es in den folgenden dreißig Jahren führen sollte, umfaßten vornehmlich Blasphemie- und Bigamie-Fälle, richteten sich aber auch gegen 78 – überwiegend auswärtige – Häretiker und 68
Conversos
, von denen 13 auf dem Scheiterhaufen hingerichtet wurden.
Im 17. und frühen 18. Jahrhundert lebten im spanischen Kernland die Prozesse gegen
Conversos
wieder auf. Nach 1540 waren diese ja zunächst aus dem Focus der Inquisition geraten. Trotz eines fortbestehenden latenten Antisemitismus waren die Neuchristen relativ integriert und führten ein eher unauffälliges Leben. Das änderte sich seit den späten 1580er Jahren durch den Einfluß ihrer portugiesischen Schicksalsgenossen. Seit etwa 1540, als die portugiesische Inquisition mit ihren Autodafés gegen angebliche «Judaisierer» begann, hatte sich die Richtung des Flüchtlingsstromes umgekehrt. Waren zuvor die spanischen
Conversos
nach Portugal geflohen, so zogen nun die bisher in Portugal ansässigen Neuchristen nach Spanien, zumal nachdem Philipp II. 1580 die portugiesische und die spanische Krone in Personalunion übernommen hatte. Die Rigorosität der portugiesischen Inquisition bzw. die scheinbare Milde ihrer älteren spanischen Schwester trugen dazu ebenso bei wie die Hoffnung auf ökonomische Prosperität im spanischen Weltreich. Seit den 1590er Jahren stellten
Conversos
aus Portugal einen signifikanten Anteil der Angeklagten vor den Tribunalen der spanischenInquisition. Dabei gelang es den Wohlhabenderen unter ihnen diesseits und jenseits der Grenze allerdings zunächst, sich mit viel Geld auf Zeit freizukaufen. Lange Zeit profitierten sie von der desolaten Finanzlage des spanischen Staates und von der pragmatischen Politik des Herzogs von Olivares, der als
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