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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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wiederholte er. »Dort bist du sicher. Versprich es mir.«
    »Das mache ich«, sagte ich. »Versprochen.« Was hätte ich sonst sagen sollen?
    »Ich dachte, ich könnte dich beschützen«, flüsterte er. »Ich hätte es dir schon vor langer Zeit erzählen sollen …« Er verstummte. Ich sah, wie das Leben aus seinem Körper wich.
    »Was hättest du mir erzählen sollen?«, fragte ich und würgte an den Tränen.
    »Keine Zeit mehr«, flüsterte er. Dann hob er den Kopf vom Boden, zitternd vor Anstrengung, und wisperte in mein Ohr: »Finde den Vogel. In der Schleife. Auf der anderen Seite vom Grab des alten Mannes. 3 . September 1940 .« Ich nickte, aber er sah mir offenbar an, dass ich nichts verstand. Mit letzter Kraft fügte er hinzu: »Emerson – der Brief. Erzähl ihnen, was passiert ist, Yakob.«
    Damit sank er zurück, erschöpft und schwächer werdend. Ich schluchzte, sagte meinem Grandpa, dass ich ihn liebte. Er schien sich in sich selbst zurückzuziehen, sein Blick wanderte fort von mir zum Himmel.
    Einen Augenblick später kam Ricky durch das Unterholz gestürzt. Er sah den alten Mann in meinen Armen liegen und wich einen Schritt zurück. »O Mann. O Jesus.
O Jesus!
« Er rieb sich übers Gesicht und stammelte was von den Puls finden und die Cops rufen und hast du irgendwas im Wald gesehen. Da wurde mir plötzlich ganz komisch. Ich ließ Großvaters Körper zu Boden sinken und stand auf. Jeder Nerv meines Körpers kribbelte, wie aus einem Instinkt heraus, von dem ich gar nicht gewusst hatte, dass ich ihn besaß. Irgendetwas war hier draußen im Wald – ich konnte es fühlen.
    Der Mond schien nicht, und außer unseren eigenen Bewegungen regte sich nichts im Unterholz, und doch wusste ich, wann ich die Taschenlampe aufheben und worauf ich sie richten musste. In dem schmalen Lichtstrahl sah ich für den Bruchteil einer Sekunde ein Gesicht, das den Alpträumen meiner Kindheit entstiegen schien. Ich starrte in Augen, die in dunkler Flüssigkeit schwammen, pechschwarze Hautfetzen hingen lose an der buckligen Gestalt, der Mund stand auf groteske Weise offen, so dass sich ein Haufen langer, aalförmiger Zungen herausschlängeln konnte. Ich schrie. Da drehte sich die Kreatur um und verschwand. Durch die Bewegung erzitterten die Büsche und erregten Rickys Aufmerksamkeit. Er hob die . 22 er und feuerte pap-pap-pap-pap, rief, was war das, was zur Hölle war das – aber er hatte es nicht gesehen, und ich war wie erstarrt, unfähig, es ihm zu sagen. Das schwindende Licht der Taschenlampe flackerte über die Bäume. Und dann muss ich ohnmächtig geworden sein, denn er rief:
Jacob, Jake, hey, Ed, bist du okay oder was?
Und das ist das Letzte, woran ich mich erinnere.

[home]
    2. Kapitel
    I n den Monaten nach dem Tod meines Großvaters durchlief ich ein Fegefeuer aus beigefarbenen Wartezimmern und anonymen Büros. Ich wurde analysiert und befragt, nickte, wenn ich angesprochen wurde, und wiederholte mich. Sobald ich außer Hörweite war, wurde über mich getuschelt. Ich war das Ziel Tausender mitleidiger Blicke und besorgten Stirnrunzelns. Meine Eltern behandelten mich wie ein rohes Ei. Sie hatten Angst, dass ich zerbrechen würde, wenn sie in meiner Anwesenheit stritten oder sich nur aufregten.
    Ich litt unter Alpträumen, aus denen ich schreiend erwachte. Es war so schlimm, dass ich eine Schiene tragen musste, um mir nicht im Schlaf durch heftiges Knirschen die Zähne zu zermahlen. Sobald ich nur die Augen schloss, sah ich es vor mir – dieses tentakelmäulige Grauen in den Wäldern. Ich war davon überzeugt, dass es meinen Großvater getötet hatte und dass es bald wiederkäme, um auch mich zu holen. Manchmal überflutete mich die Panik wie in jener Nacht, als Großvater starb, und ich war plötzlich sicher, dass es auf mich wartete, dass es in dem Schrank aus dunklem Holz lauerte oder hinter dem nächsten Wagen auf dem Parkplatz oder hinter der Garage, wo mein Fahrrad stand.
    Meine Reaktion bestand darin, das Haus nicht mehr zu verlassen. Wochenlang weigerte ich mich, auch nur in die Einfahrt hinauszugehen, um die Morgenzeitung zu holen. Ich schlief in einem Knäuel aus Decken auf dem Boden der Waschküche, weil dies der einzige Raum im Haus war, den man von innen abschließen konnte und der fensterlos war. Dort verbrachte ich auch den Tag, an dem Großvater beerdigt wurde. Ich saß mit meinem Laptop auf dem Wäschetrockner und versuchte, mich mit Online-Spielen abzulenken.
    Ich gab mir die Schuld an dem, was

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