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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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geht nicht darum, herauszufinden, was die letzten Worte deines Großvaters zu bedeuten haben«, sagte er, »sondern darum, welche Bedeutung sie für
dich
haben.«
    »Das ist doch Psychogeschwätz«, fauchte ich. »Es geht nicht darum, was ich
denke
 – sondern um die Wahrheit! Aber die werden wir wohl nie erfahren. Na und? Setzen Sie mich nur schön unter Drogen und schreiben Sie die Rechnung.«
    Ich wollte, dass er wütend wurde. Er sollte mit mir streiten und darauf beharren, dass ich unrecht hatte – stattdessen saß er mit ausdrucksloser Miene da und trommelte mit seinem Füller auf die Armlehne des Stuhls. »Klingt so, als wolltest du aufgeben«, sagte er nach einer Weile. »Du enttäuschst mich. Ich habe dich nicht für jemanden gehalten, der so schnell die Flinte ins Korn wirft.«
    »Dann kennen Sie mich nicht besonders gut.«
    * * *
    Ich war nicht gerade in Partylaune. Aber seit meine Eltern wenig subtile Hinweise darauf fallenließen, wie langweilig und ereignislos das nächste Wochenende sein würde, war mir klar, was auf mich zukam. Schließlich wurde ich an diesem Wochenende sechzehn. Ich bat meine Eltern, die Feier dieses Jahr ausfallen zu lassen, schon allein, weil mir niemand einfiel, den ich einladen wollte. Doch es beunruhigte sie, dass ich so viel Zeit allein verbrachte. Außerdem klammerten sie sich an die Hoffnung, dass Gesellschaft für mich therapeutisch wirksam sei. Das wären Elektroschocks auch, sagte ich. Aber meine Mutter ließ keine Feier aus, sobald sie auch nur den kleinsten Anlass fand – einmal hatten wir Gäste, um den Geburtstag unseres Nymphensittichs zu feiern. Sie liebte es, unser weitläufiges Haus zu zeigen, Heerscharen von Gästen von einem überladenen Zimmer zum nächsten zu schleppen, mit dem Weinglas in der Hand die Genialität des Architekten zu preisen und Geschichten über die Bauphase zu erzählen (»Es hat
Monate
gedauert, bis diese Wandleuchter aus Italien endlich da waren«).
    Wir waren gerade von einer katastrophalen Sitzung mit Dr. Golan nach Hause gekommen. Ich folgte meinem Dad in das verdächtig dunkle Wohnzimmer, während er etwas murmelte wie »Wirklich schade, dass wir nichts für deinen Geburtstag geplant haben« und »Na ja, dann vielleicht nächstes Jahr wieder«, als plötzlich sämtliche Lichter angingen und alles in gleißende Helligkeit tauchten: Papierschlangen, Luftballons und eine bunte Mischung aus Tanten, Onkeln und Cousins, mit denen ich so gut wie nie ein Wort wechselte. Alle, die meine Mutter hatte beschwatzen können, waren gekommen – sogar Ricky, dessen Anwesenheit mich überraschte. Er lungerte neben der Punschbowle herum und wirkte in seiner mit Nieten besetzten Lederjacke reichlich deplaziert. Nachdem mich alle hatten hochleben lassen und ich so getan hatte, als sei ich ehrlich überrascht, legte Mom den Arm um mich und fragte: »Ist es in Ordnung?« Ich war durcheinander und müde, wollte nur noch
Warspire
III
: The Summoning
spielen und mich anschließend ins Bett legen und fernsehen. Aber was sollte ich tun? Alle nach Hause schicken? Ich sagte, es sei prima, und sie lächelte mich dankbar an.
    »Wer möchte den neuen Anbau sehen?«, trällerte sie, schenkte sich von dem Chardonnay ein und schleppte dann einen Trupp gehorsamer Verwandter über die Treppe nach oben.
    Ricky und ich nickten uns quer durch das Zimmer zu und kamen wortlos überein, die Anwesenheit des anderen für ein oder zwei Stunden zu tolerieren. Seit dem Tag, an dem er mich fast vom Dach gestoßen hatte, hatten wir nicht mehr miteinander gesprochen. Uns war jedoch klar, dass man vorgeben musste, zumindest einen Freund zu haben. Ich wollte mich gerade mit ihm unterhalten, da packte mich Onkel Bobby am Ellbogen und nahm mich beiseite. Bobby war ein großer, bulliger Typ, der einen teuren Schlitten fuhr, in einem riesigen Haus lebte und eines Tages an einem Herzinfarkt sterben würde – von all der Foie gras und den Monster-Burgern, die er im Laufe der Jahre in sich hineingestopft hatte. Sein gesamter Besitz würde dann an meine kiffenden Cousins und Bobs winzige, schweigsame Frau fallen. Onkel Bobby und Onkel Les waren die Vorsitzenden von Smart Aid und ständig damit beschäftigt, Leute in irgendwelche Ecken zu ziehen, um konspirative Gespräche zu führen. Dabei redeten sie mit gedämpfter Stimme, als lobten sie nicht die Guacamole der Gastgeberin, sondern planten einen Mafiamord.
    »Also, deine Mom hat gesagt, dass du langsam drüber wegkommst, über diese,

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