Die Insel der besonderen Kinder
seiner Hand warfen und die Schlinge aus Menschenhaar um seinen Hals.«
Ich schüttelte mich. »Klingt nach einem Menschenopfer oder etwas in der Art.«
»Genau. Er wurde durch eine Kombination aus Strangulieren, Ertränken, Ausweiden und einem Schlag auf den Kopf getötet. Ein bisschen viel des Guten, meinst du nicht auch?«
»Allerdings.«
»Das Seltsamste für uns moderne Menschen daran ist jedoch, dass dieser junge Bursche offenbar freiwillig in den Tod gegangen ist. Geradezu begierig. Seine Leute glaubten, dass das Moor – und unser Moor im Besonderen – der Eingang zur Götterwelt war und somit der beste Ort, um ihr kostbarstes Geschenk zu überreichen: sich selbst.«
»Das ist krank.«
»Vermutlich. Obwohl ich glaube, dass auch etliche der heutigen Todesarten den Menschen in der Zukunft krank erscheinen werden. Und was das Tor zu einer anderen Welt angeht, da ist das Moor nicht der schlechteste Ort. Nicht ganz Wasser und nicht ganz Erde, irgendetwas dazwischen.« Martin beugte sich über den Kasten und studierte die Leiche. »Ist er nicht wunderschön?«
Ich sah mir den Körper noch einmal an, erdrosselt, geschunden, ertränkt und irgendwann während dieses Prozesses unsterblich gemacht.
»Finde ich nicht«, antwortete ich.
Martin richtete sich auf.
»Ach, nun komm schon! Dunkel ruht der Moormann hier, das zarte Gesicht wie von Ruß geschwärzt, die Glieder verdorrt zu Kohleadern, Fußklumpen wie Treibholz, behängt mit verschrumpelten Rosinen!« Er breitete die Arme aus wie ein Schauspieler auf der Bühne und begann, um den Kasten herumzustolzieren. »Komm her und lege Zeugnis ab von der grausamen Schönheit seiner Wunden! Gesäumte, sich schlängelnde Messerschnitte, von Steinen freigelegtes Hirn und Knochen, die Schlinge noch tief in den Hals gegraben. Jungfräuliche Frucht, zerschmettert und fortgeworfen – Himmelssucher – alter Mann gefangen in der Jugend – fast schon liebe ich dich!«
Ich applaudierte, und er verbeugte sich theatralisch. »Wow!«, sagte ich. »Haben Sie das gedichtet?«
»Ich bekenne mich schuldig«, gestand er mit verlegenem Lächeln. »Hin und wieder spiele ich mit Versen, aber es ist nur ein Hobby. Trotzdem danke.«
Ich fragte mich, was dieser seltsame, wortgewandte Mann auf der Insel verloren hatte, mit seinen gebügelten Hosen und den halbgaren Versen. Er wirkte eher wie ein Bankangestellter als wie jemand auf einer windgepeitschten Insel mit einem einzigen Telefon und Schotterstraßen.
»Ich würde dir gern auch den Rest meiner Sammlung zeigen«, sagte er und begleitete mich zum Eingang, »aber für heute schließt das Museum. Wenn du jedoch morgen wiederkommen möchtest …«
»Eigentlich hatte ich gehofft, dass Sie mir etwas erzählen können«, sagte ich rasch, bevor er mich hinausscheuchen konnte. »Es geht um das Haus, das ich heute Morgen erwähnt habe. Ich bin da gewesen.«
»Tatsächlich!«, entfuhr es ihm. »Und ich dachte, ich hätte dich abgeschreckt. Wie ist es inzwischen um unser Geisterhaus bestellt? Steht es noch?«
Ich versicherte ihm, dass das der Fall sei, und kam dann direkt zum Punkt. »Die Menschen, die dort gelebt haben – haben Sie eine Ahnung, was aus ihnen wurde?«
»Sie sind tot«, antwortete er. »Schon seit langem.«
Ich war überrascht – obwohl das wahrscheinlich überflüssig war. Miss Peregrine war alt. Alte Menschen sterben. Aber das bedeutete nicht, dass meine Suche damit ein Ende hatte. »Ich bin auf der Suche nach jemandem, der dort gelebt hat.«
»Alle tot«, wiederholte er. »Seit dem Krieg wohnt dort niemand mehr.«
Ich brauchte einen Moment, um das zu verarbeiten. »Wie meinen Sie das? Welcher Krieg?«
»Wenn wir hier von Krieg sprechen, mein Junge, ist immer nur einer gemeint – der Zweite Weltkrieg. Wenn ich mich nicht täusche, war es ein Bombenangriff der Deutschen, der sie alle erwischt hat.«
»Nein, das kann nicht stimmen.«
Er nickte. »Zu jener Zeit gab es am entferntesten Zipfel der Insel, hinter den Wäldern, wo das Haus steht, eine Verteidigungsanlage der Luftabwehr. Dadurch wurde Cairnholm zu einem legitimen Angriffsziel. Nicht, dass Legitimität für die Deutschen irgendeine Rolle spielte, wohlgemerkt. Jedenfalls kam eine der Bomben von der Bahn ab und, nun ja …« Er schüttelte den Kopf. »Verdammtes Pech.«
»Das kann nicht stimmen«, sagte ich noch einmal und fürchtete, jeden Moment umzukippen.
»Warum setzt du dich nicht, und ich mache uns einen Tee?«, schlug er vor. »Du
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