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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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wirkst ein bisschen durcheinander.«
    »Mir ist nur etwas schwindelig …«
    Er führte mich zu einem Stuhl in seinem Büro und ging Tee kochen. Ich versuchte, meine Gedanken zu ordnen.
Im Krieg ausgebombt
 – das würde erklären, warum in manchen Räumen ganze Wände fehlten. Aber was war mit dem Brief von Miss Peregrine – abgestempelt in Cairnholm und vor fünfzehn Jahren von hier abgeschickt?
    Martin kam zurück und reichte mir einen Becher mit Tee. »Ich habe einen Schuss Penderyn beigemischt«, sagte er. »Ist mein Geheimrezept. Das bringt dich im Nu wieder auf die Beine.«
    Ich bedankte mich, trank einen Schluck und erkannte zu spät, dass die geheimnisvolle Substanz hochprozentiger Whiskey war. Es fühlte sich an, als würde Napalm durch meine Speiseröhre gejagt. »Es hat einen gewissen Kick«, gab ich zu, und mein Gesicht lief rot an.
    Er runzelte die Stirn. »Ich sollte wohl lieber deinen Vater holen.«
    »Nein, nein, mir geht’s schon wieder besser. Aber falls Sie mir noch etwas über diesen Angriff erzählen könnten, wäre ich sehr dankbar.«
    Martin setzte sich auf den Stuhl mir gegenüber. »Du machst mich neugierig. Du sagst, dein Großvater hat in dem Haus gelebt. Hat er die Bomben denn nie erwähnt?«
    »Das finde ich auch seltsam«, räumte ich ein. »Der Angriff muss sich danach ereignet haben. War es gegen Ende des Krieges oder schon früher?«
    »Es ist mir peinlich, aber ich habe keine Ahnung. Doch wenn es dich interessiert, kann ich dir jemanden vorstellen, der es weiß – mein Onkel Oggie. Er ist dreiundachtzig Jahre alt und hat sein ganzes Leben auf der Insel verbracht. Sein Verstand ist immer noch hellwach.« Martin blickte auf die Armbanduhr. »Wenn wir ihn erwischen, bevor ›Father Ted‹ im Fernsehen anfängt, wird er dir gern alles erzählen, was du wissen möchtest.«
    * * *
    Zehn Minuten später saßen Martin und ich, eingesunken in dickgepolsterte Sofas, in Oggies Wohnzimmer. Der Raum war vollgestopft mit Büchern, Kartons mit alten Schuhen und genügend Lampen, um die Tropfsteinhöhlen im Carlsbad-Caverns-Nationalpark auszuleuchten. Allmählich dämmerte mir, dass das Leben auf einer abgeschiedenen Insel die Menschen sammelwütig macht. Oggie saß uns gegenüber in einem abgetragenen Blazer und Pyjamahosen, als hätte er Besuch erwartet – nur eben keinen, der einer Hose würdig war –, und wippte unablässig in einem mit Plastik überzogenen Schaukelstuhl. Er schien glücklich zu sein, Zuhörer zu haben, und nachdem er sich ausführlich über das Wetter, die walisische Politik und den bedauernswerten Zustand der heutigen Jugend ausgelassen hatte, war Martin endlich in der Lage, Oggies Aufmerksamkeit auf den Bombenangriff und die Kinder in dem Heim zu lenken.
    »Natürlich erinnere ich mich an sie«, sagte er. »Ein sonderbarer Trupp. Ab und zu haben wir sie im Ort gesehen – die Kinder, und manchmal auch ihre Aufpasserin. Sie kauften Milch und Medikamente und was man so braucht. Wenn du ›guten Morgen‹ zu ihnen gesagt hast, haben sie weggeguckt. Sind ganz unter sich geblieben, weitab in diesem großen Haus. Es wurde viel darüber geredet, was da wohl vor sich ging, aber niemand wusste Genaues.«
    »Was redete man denn so?«
    »Lauter Blödsinn. Wie gesagt, niemand wusste etwas. Alles, was ich dazu sagen kann, ist, dass es keine normalen Waisenhauskinder waren – so wie diese Barnardo-Home-Kinder, die es woanders gibt. Die sieht man, wenn sie in den Ort kommen, zu Paraden und so etwas, und sie haben immer Zeit für ein Schwätzchen. Dieser Haufen war anders. Manche von ihnen konnten nicht einmal Englisch.«
    »Weil sie in Wahrheit keine Waisen waren«, sagte ich. »Es waren Flüchtlinge aus anderen Ländern. Polen, Österreich, Tschechoslowakei …«
    »Ach so?«, fragte Oggie und sah mich schief an. »Seltsam, das höre ich zum ersten Mal.« Er wirkte gekränkt darüber, dass ich vorgab, mehr über seine Insel zu wissen als er. Er schaukelte schneller, aggressiver. Wenn mein Großvater und die anderen Kinder so auf Cairnholm willkommen geheißen wurden, war es kein Wunder, dass sie unter sich blieben.
    Martin räusperte sich. »Also, Onkel, der Bombenangriff …«
    »Immer mit der Ruhe. Ja, ja, die verdammten Deutschen. Wer könnte die vergessen?« Er setzte zu einer langatmigen Beschreibung an, wie das Leben auf der Insel unter der ständigen Bedrohung deutscher Luftangriffe gewesen war: die heulenden Sirenen; das panische Gerenne zu den Schutzräumen; die

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