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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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Kleinen, die in einer Flasche »gefangen« war. Aber welche Dunkelkammer-Technik hier auch immer benutzt wurde, dieses Bild sah weitaus weniger nach einer Fälschung aus. Ein anderes zeigte einen völlig gelassenen jungen Mann, dessen Oberkörper mit Bienen bedeckt war. Das war leicht zu manipulieren, oder? So wie Großvaters Bild von dem Jungen, der einen Felsblock aus Gips stemmt. Unechter Fels – unechte Bienen.
    Mir sträubten sich die Nackenhaare, als mir einfiel, was Grandpa Portman über einen Jungen erzählt hatte, der mit ihm im Waisenhaus lebte – ein Junge, in dem Bienen hausten.
Sobald er den Mund öffnete, kamen ein paar herausgeflogen,
hatte er gesagt.
Aber sie stachen nie, es sei denn, dass Hugh es wollte.
    Die Fotos meines Großvaters stammten offenbar aus diesem Koffer, der jetzt zertrümmert vor mir lag. Sicher war ich mir allerdings erst, als ich ein Bild der beiden Sonderlinge fand: zwei maskierte Kinder mit Halskrause, die sich gegenseitig mit einer Schnur fütterten, die aussah wie eine gedrehte Luftschlange. Ich wusste nicht, was die beiden darstellen sollten – abgesehen von Material für Alpträume. Waren es sadomasochistische Ballerinen? Es bestand jedoch kein Zweifel, dass Großvater ein Foto dieser beiden besessen hatte. Ich hatte es erst vor wenigen Monaten in seiner Zigarrenkiste gesehen.

    Es konnte kein Zufall sein. Und es bedeutete, dass die Fotos, die Großvater mir gezeigt hatte – und bei denen er geschworen hatte, dass sie Kinder aus dem Waisenhaus zeigten –, wirklich aus diesem Haus stammten. Aber hieß das auch, dass die Bilder trotz der Zweifel, die ich schon als Achtjähriger gehegt hatte, echt waren? Was war mit den fantastischen Geschichten, die sich um sie rankten? Dass auch nur eine von ihnen wahr sein konnte – buchstäblich wahr –, schien mir undenkbar. Und dennoch, als ich jetzt in dem staubigen Dämmerlicht des verfallenen Hauses stand, dachte ich,
vielleicht …
    Plötzlich ertönte über mir ein lautes Krachen. Ich erschrak so heftig, dass ich die Fotos fallen ließ.
    Das ist nur ein Krachen in dem alten Gebälk, sagte ich mir – oder irgendwo stürzt etwas ein! Als ich mich vorbeugte, um die Fotos wieder einzusammeln, krachte es noch einmal, und plötzlich fiel kein Licht mehr durch das Loch in der Decke. Um mich herum war nur noch pechschwarze Finsternis.
    Ich hörte Schritte und leise Stimmen, konnte jedoch nicht verstehen, was sie sagten. Vor lauter Angst wagte ich kaum zu atmen. Natürlich war meine Angst irrational – vermutlich waren da oben die beiden Rapper-Kids unterwegs, die mir wieder einen Streich spielen wollten. Trotzdem schlug mein Herz wie verrückt, und mein Instinkt sagte mir, dass ich mich ruhig verhalten musste.
    Meine Beine begannen zu kribbeln. Vorsichtig verlagerte ich das Gewicht von einem auf das andere, damit das Blut wieder floss. Dabei löste sich ein winziges Stück von dem Schuttstapel und rollte fort. In der Stille war dieses Geräusch ohrenbetäubend laut. Die Stimmen verstummten. Dann knarrte ein Dielenbrett über mir, und Gips rieselte herab. Wer auch immer dort oben war, wusste genau, wo ich mich befand.
    Ich hielt den Atem an.
    Dann hörte ich die zarte Stimme eines Mädchens fragen: »Abe? Bist du das?«
    Das musste ich geträumt haben. Ich wartete, dass das Mädchen noch einmal etwas sagte, aber es war nichts zu hören. Dann leuchtete über mir eine Laterne auf, und ich sah, wie sich ein halbes Dutzend Kinder um das zerklüftete Loch knieten und herunterspähten. Deshalb war es plötzlich so dunkel geworden!
    Sie kamen mir irgendwie bekannt vor, aber ich wusste nicht, woher. Sie waren wie Gesichter aus einem halbvergessenen Traum. Wo waren sie mir nur begegnet, und woher kannten sie Großvaters Namen?
    Dann machte es Klick in meinem Kopf. Ihre sonderbar altmodische Kleidung. Ihre blassen, ernsten Gesichter. Die vor mir verstreuten Fotos, die zu mir heraufstarrten, so wie die Kinder zu mir herabsahen. Plötzlich verstand ich.
    Ich hatte sie auf den Fotos gesehen.
    Das Mädchen, das gesprochen hatte, stand auf. In der Hand hielt es ein flackerndes Licht, aber es war keine Lampe oder Kerze, sondern eine nackte Flamme, nur umgeben von seiner ungeschützten Haut. Vor nicht einmal fünf Minuten hatte ich dieses Mädchen auf einem Foto gesehen. Und es sah genauso aus wie auf dem Bild, barg dasselbe sonderbare Licht in den Händen.
    Ich bin Jacob!,
wollte ich rufen.
Ich bin auf der Suche nach euch!
Aber ich hatte

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