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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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fort. Der Gestank wurde schlimmer. Ich konnte nicht umhin, mir vorzustellen, was in der Dunkelheit womöglich lauerte. Und wenn ein Loch im Boden war? Man würde meinen Körper niemals finden.
    Doch dann hatte ich einen schlicht genialen Geistesblitz. Obwohl es auf dieser Insel keinen Empfang gab, hatte ich mein Handy dabei. Ich schaltete es ein. Der schwache Schimmer vermochte die Dunkelheit jedoch kaum zu durchdringen, also richtete ich es auf den Boden. Zerbrochene Steinplatten und Mäusekot. Ich leuchtete zur Seite, und der schwache Schimmer wurde reflektiert.
    Ich trat einen Schritt näher heran und leuchtete mit dem Handy in alle Richtungen. Aus der Dunkelheit tauchte eine Regalwand voller Glasgefäße auf. Sie hatten verschiedene Größen und Farben, waren fleckig vom Staub und mit gelatineähnlichen Inhalten gefüllt. Ich dachte an die Küche mit den explodierten Einmachgläsern. Vielleicht war die Temperatur hier unten stabiler, und deshalb waren die Gläser unversehrt.
    Als ich näher heranging und sie mir genauer ansah, stellte ich jedoch fest, dass kein Obst und Gemüse darin war – sondern Organe. Gehirne. Herzen. Lungen. Augen. Alles eingelegt in Formaldehydlösung. Das erklärte den schauderhaften Gestank. Würgend stolperte ich zurück in die Dunkelheit. Was war das hier? Solche Gläser erwartete man im Keller eines zweifelhaften Forschungslabors, aber nicht in einem, in dem Kinder gelebt hatten. Wenn Großvater mir nicht so wundervolle Dinge über diesen Ort erzählt hätte, hätte ich mich jetzt gefragt, ob Miss Peregrine die Kinder nur gerettet hatte, um ihnen ihre Organe zu entnehmen.
    Nachdem ich mich etwas gefasst hatte, sah ich über mir einen schwachen Lichtschimmer – dieses Mal keine Reflexion meines Handys, sondern Tageslicht. Es schien durch das Loch, das der Koffer verursacht hatte. Unermüdlich wagte ich mich weiter vor, durch mein hochgezogenes Hemd atmend und fern von der Wand und weiteren grausigen Überraschungen.
    Der Lichtschimmer führte mich in einen kleinen Raum mit eingebrochener Decke. Tageslicht fiel durch die Öffnung auf zersplitterte Dielenbretter und zerbrochene Gläser, aus denen in feinen Schlieren eine Flüssigkeit herauslief. Teppichfetzen lagen hier und dort wie getrocknete Fleischbrocken. Unter dem Müll hörte ich das Tapsen winziger Pfoten, ein Nagetier, das in der Dunkelheit hauste und die Implosion seiner Welt überlebt hatte. Mittendrin lagen der zerschmetterte Koffer und um ihn herum, wie Konfetti verstreut, die Fotos.
    Ich suchte mir einen Weg durch diesen Trümmerhaufen. Kniend rettete ich aus dem Müll, was zu retten war.
    Auf den ersten Blick wirkten die Bilder wie Familienfotos aus alten Alben. Es gab Aufnahmen von Menschen, die am Strand herumtollten oder auf einer Terrasse in die Kamera lächelten. Aufnahmen von verschiedenen Stellen der Insel und jede Menge Kinder, die allein oder in Paaren vor der Kamera posierten, Schnappschüsse und gestellte Porträts vor einer künstlichen Kulisse, wo die Kinder starräugige Puppen an sich pressten, als hätte man sie zu einer professionellen Aufnahme in ein gruseliges Einkaufszentrum der Jahrhundertwende geschleppt. Am unheimlichsten waren jedoch nicht diese Zombiepuppen, die seltsamen Haarschnitte der Kinder oder dass sie auf keinem Foto lachten, sondern etwas anderes: Je länger ich die Bilder betrachtete, desto vertrauter kamen sie mir vor. Die Fotos waren ähnlich gruselig wie die meines Großvaters, vor allem wie jene, die er auf dem Boden der Zigarrenkiste vor mir versteckt gehalten hatte. Stammten diese Fotos etwa aus derselben Serie?
    Da gab es zum Beispiel ein Bild von zwei jungen Frauen, die vor einer nicht sonderlich überzeugend gemalten Meereskulisse posierten. An sich nichts Besonderes, abgesehen von der beunruhigenden Tatsache,
wie
sie dort standen. Beide hatten der Kamera den Rücken zugewandt. Warum sollte man sich die Mühe machen und die Kosten für ein Porträt auf sich nehmen – Porträtaufnahmen waren damals bestimmt verdammt teuer – und dann den Rücken in die Kamera halten? Beinahe rechnete ich damit, in dem Schutt noch ein Foto der Mädchen zu finden, auf dem sie ihre Gesichter zeigten – grinsende Totenschädel.
    Andere Bilder schienen auf ähnliche Weise manipuliert worden zu sein wie die von Großvater. Auf einem stand ein Mädchen auf einem Friedhof vor einem Teich. In dem Wasser spiegelten sich jedoch
zwei
Mädchen. Das erinnerte mich an Grandpa Portmans Foto von der

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