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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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schleppten Requisiten, knöpften Anzugjacken zu und schlossen die Reißverschlüsse paillettenbesetzter Kleider. Ein kleines Orchester war dabei, die Instrumente zu stimmen. Es bestand aus einem Akkordeon, einer zerbeulten Posaune und einer Singenden Säge, auf der Horace mit einem Bogen spielte.
    »Was ist denn hier los?«, fragte ich Emma. »Führt ihr etwa ein Stück auf?«
    »Du wirst schon sehen.«
    »Wer spielt denn mit?«
    »Du wirst schon sehen.«
    »Wovon handelt es?«
    Sie kniff mich.
    Ein Pfiff ertönte, und alle rannten los, um einen Platz auf einem der Klappstühle zu ergattern, die in einer Reihe gegenüber der Bühne standen. Emma und ich setzten uns in dem Moment, als der Vorhang aufging und sich ein Strohhut zeigte, der über einem rot-weiß gestreiften Smoking schwebte. Erst als ich eine Stimme hörte, wurde mir klar, dass das – natürlich – Millard war.
    »Ladieeees and Gentlemen!«, posaunte er. »Ich habe das außerordentliche Vergnügen, Ihnen eine einzigartige Vorstellung anzukündigen! Eine Show unübertroffener Kühnheit, von solch vollendetem magischem Können, dass Sie Ihren Augen nicht trauen werden! Verehrte Zuschauer, ich präsentiere Ihnen Miss Peregrine und ihre besonderen Kinder!«
    Das Publikum spendete donnernden Applaus. Millard tippte sich an den Hut.
    »Als erste Nummer darf ich Ihnen Miss Peregrine selbst ankündigen!« Er huschte hinter den Vorhang und tauchte einen Moment später wieder auf, ein gefaltetes Laken über dem Arm und einen Peregrinusfalken auf dem anderen. Er nickte dem Orchester zu, das eine blecherne Karnevalsmusik zu spielen begann.
    Emma stieß mich mit dem Ellbogen an. »Sieh gut hin«, flüsterte sie.
    Millard setzte den Falken auf den Boden und schirmte ihn mit dem Laken vor den Blicken des Publikums ab. Dann zählte er rückwärts: »Drei, zwei, eins!«
    Bei »eins« hörte ich Flügelschlagen, und dann sah ich Miss Peregrines Kopf – ihren
menschlichen
Kopf – hinter dem Laken auftauchen. Der Applaus brandete erneut auf. Miss Peregrines Haar war zerzaust, und ich konnte sie nur von den Schultern an aufwärts sehen. Sie schien hinter dem Laken nackt zu sein. Wenn man sich in einen Vogel verwandelt, bleiben die Kleidungsstücke offenbar zurück. Miss Peregrine fasste das Laken an den Ecken und wickelte es sich schamhaft um den Körper.
    »Master Portman«, sagte sie und blickte von der Bühne zu mir herunter, »ich freue mich, dass du wiedergekommen bist. Mit dieser kleinen Show sind wir überall auf dem Kontinent aufgetreten, damals, in den glücklichen Zeiten. Ich dachte, es wäre vielleicht aufschlussreich für dich.« Und dann eilte sie ins Haus, um sich anzuziehen.
    Eines nach dem anderen traten die besonderen Kinder aus den Reihen der Zuschauer hinauf auf die Bühne. Jedes führte etwas vor. Millard zog seinen Smoking aus, so dass er gänzlich unsichtbar war, und jonglierte mit Glasflaschen. Olive zog ihre bleischweren Schuhe aus und vollführte eine der Schwerkraft trotzende Turnübung auf einer Art Barren. Emma entzündete Feuer, schluckte es und spie es wieder aus, ohne sich zu verbrennen. Ich applaudierte, bis ich fürchtete, ich bekäme Blasen an den Händen.
    Als Emma an ihren Platz zurückkehrte, sagte ich zu ihr: »Ich verstehe das nicht – ihr habt das alles vor Menschen aufgeführt?«
    »Natürlich«, antwortete sie.
    »Vor
normalen
Menschen?«
    »Natürlich vor normalen. Warum sollten besondere Menschen dafür zahlen, etwas zu sehen, was sie selbst können?«
    »Aber lässt das nicht eure … na ja, Tarnung auffliegen?«
    Sie kicherte. »Niemand hat Verdacht geschöpft. Die Menschen gehen ins Varieté, weil sie Zauberei und Tricks und all das sehen wollen – und jeder dachte, dass wir genau das zeigen.«
    »Ihr habt euch also quasi in der Öffentlichkeit versteckt.«
    »So haben sich früher viele besondere Menschen durchs Leben geschlagen«, sagte sie.
    »Und es ist nie jemand dahintergekommen?«
    »Hin und wieder tauchte der ein oder andere Idiot hinter der Bühne auf und stellte neugierige Fragen. Für diesen Fall gab es unseren Kraftprotz, der die Typen im hohen Bogen rauswarf. Wenn man vom Teufel spricht – da ist sie schon!«
    Auf der Bühne zog ein männlich wirkendes Mädchen einen Felsbrocken von der Größe eines Kühlschranks hinter dem Vorhang hervor. »Sie ist vielleicht nicht das hellste Licht im Hafen«, flüsterte Emma, »aber sie hat ein großes Herz und würde für ihre Kameraden alles tun. Bronwyn und ich

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