Die Insel der besonderen Kinder
halten zusammen wie Pech und Schwefel.«
Jemand gab einen Stapel Postkarten weiter, mit denen Miss Peregrine früher für die Vorstellung geworben hatte. Als der Stapel bei mir ankam, lag Bronwyns Karte oben. Auf dem Bild stand sie barfuß da und starrte mit eisigem Blick in die Kamera. Die Rückseite schmückte der Satz: DAS UNGLAUBLICH STARKE MÄDCHEN VON SWANSEA !
»Warum stemmt sie auf dem Bild keinen Felsblock wie auf der Bühne?«, fragte ich.
»Sie war in einer miesen Stimmung, weil der Vogel sie gezwungen hatte, sich für das Foto ›anzuziehen wie eine Dame‹. Also weigerte sie sich, auch nur eine Hutschachtel hochzuheben.«
»Und als es darum ging, Schuhe anzuziehen, hat sie endgültig gestreikt.«
»Wie üblich.«
Bronwyn hatte den Felsbrocken bis zur Mitte der Bühne gezogen. Einen Moment lang starrte sie ins Publikum, als hätte ihr jemand gesagt, sie solle innehalten, um die Spannung zu steigern. Dann beugte sie sich hinunter, packte den Fels mit ihren großen Händen und hob ihn langsam bis über den Kopf. Alle klatschten und johlten. Die Kinder zeigten helle Begeisterung, obwohl sie das bestimmt schon tausendmal gesehen hatten.
Bronwyn gähnte und marschierte mit dem unter den Arm geklemmten Felsbrocken davon. Dann betrat das Mädchen mit den zerzausten Haaren die Bühne. Emma sagte mir, dass ihr Name Fiona sei. Sie stand hinter einem mit Erde gefüllten Blumenkübel und sah ins Publikum. Die Hände hatte sie wie ein Dirigent erhoben. Das Orchester spielte den Hummelflug (jedenfalls, so gut sie es konnten), und Fiona schien die Luft über dem Blumenkübel zu packen, das Gesicht vor Anstrengung und Konzentration verzerrt. Als das Tempo des Liedes anschwoll, sprossen Gänseblümchen aus der Blumenerde und streckten sich auf ihre Hände zu. Es war wie einer dieser Filme im Zeitraffer. Fiona schien die Blumen an unsichtbaren Fäden aus dem lehmigen Boden zu ziehen. Die Kinder kreischten vor Vergnügen. Sie sprangen von den Sitzen hoch, um Fiona anzufeuern.
Emma blätterte durch den Stoß Postkarten, bis sie zu der von Fiona kam. »Das ist meine Lieblingskarte«, sagte sie. »Fiona hat tagelang an ihrem Kostüm gearbeitet.«
Ich betrachtete das Bild. Fiona war angezogen wie ein Bettlermädchen und hielt ein Huhn auf dem Arm. »Was wollte sie darstellen?«, fragte ich. »Eine obdachlose Farmerin?«
Emma zwickte mich. »Sie wollte aussehen wie ein Naturkind. Wir haben sie Dschungelkind genannt.«
»Stammt sie wirklich aus dem Dschungel?«
»Sie kommt aus Irland.«
»Gibt es im irischen Dschungel viele Hühner?«
Emma zwickte mich erneut. Während wir flüsterten, stieg Hugh zu Fiona auf die Bühne. Er stand mit offenem Mund da und ließ Bienen herausfliegen, die auf Fionas Blumen landeten. Das Ganze wirkte wie ein sonderbares Paarungsritual.
»Was lässt Fiona außer diesen Blumen und den Büschen sonst noch wachsen?«
»Gemüse«, sagte Emma und zeigte auf die Beete im Garten. »Und manchmal auch Bäume.«
»Ehrlich? Ganze Bäume?«
Sie blätterte wieder durch die Postkarten. »Manchmal spielen wir ›Dschungelkind und Bohnenstengel‹. Einer von uns packt das Ende eines jungen Baumes am Waldrand, und wir sehen, wie hoch Fiona ihn wachsen lassen kann, während derjenige darauf reitet.« Emma hatte offenbar das gesuchte Foto gefunden und tippte mit dem Finger darauf. »Das war der Rekord«, sagte sie stolz. »Zwanzig Meter.«
»Ihr müsst euch hier ganz schön langweilen …«
Sie wollte mich schon wieder zwicken, aber ich hielt ihre Hand fest. Was Mädchen betrifft, bin ich zwar kein Experte, aber wenn ein Mädchen viermal versucht, dich zu kneifen, dann bin ich ziemlich sicher, dass es mit dir flirtet.
Nachdem Fiona und Hugh die Bühne verlassen hatten, gab es noch ein paar andere Vorführungen. Aber allmählich wurden die Kinder unruhig, und schon bald zerstreuten wir uns, um den Rest des Tages mit sommerlichen Freuden zu verbringen: faul in der Sonne liegen und Limonade trinken, Krocket spielen, Gartenarbeit erledigen, die dank Fiona nie anstrengend wurde, und darüber diskutieren, was wir zum Lunch essen wollten. Ich hätte Miss Peregrine gern noch mehr Fragen über Großvater gestellt – ein Thema, das ich bei Emma mied, da sie mürrisch wurde, wenn ich nur seinen Namen erwähnte. Aber die Headmistress hielt im Klassenzimmer eine Unterrichtsstunde für die jüngeren Kinder ab. Ich verspürte aber auch keine Eile. Die Trägheit und die Mittagshitze schwächten meinen Willen,
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