Die Insel der besonderen Kinder
Bei uns.«
Die Bedeutung ihrer Worte stieg allmählich in mir auf, und die prickelnde Magie dessen, was da gerade zwischen uns passierte, verschwand.
»Ich möchte es schon, aber ich glaube nicht, dass ich kann.«
»Warum nicht?«
Ich überlegte. Die Sonne, das tolle Essen, die Freunde … und die immer gleichen, absolut identischen Tage. Man kann alles leid werden, wenn man zu viel davon hat, wie all die teuren Dinge, die meine Mutter nach Hause brachte und derer sie dann schnell überdrüssig wurde.
Aber es gab jetzt Emma. Vielleicht konnte ich eine Zeitlang bleiben, sie lieben und dann nach Hause zurückkehren. Aber nein. Wenn ich schließlich irgendwann gehen wollte, wäre es sicher zu spät. Sie war eine Sirene. Ich musste stark sein.
»In Wahrheit willst du nicht mich, sondern ihn. Ich kann das nicht für dich sein.«
Gekränkt blickte sie zur Seite. »Das ist nicht der Grund, warum du bleiben sollst. Du gehörst hierher, Jacob.«
»Das stimmt nicht. Ich bin nicht wie ihr.«
»Doch, das bist du«, beharrte sie.
»Bin ich nicht. Ich bin gewöhnlich, wie mein Großvater.«
Emma schüttelte den Kopf. »Glaubst du das wirklich?«
»Wenn ich eine besondere Begabung hätte, meinst du nicht auch, dass es mir schon längst aufgefallen wäre?«
»Eigentlich sollte ich es dir nicht sagen«, begann sie, »aber gewöhnliche Menschen können nicht durch Zeitschleifen gehen.«
Ich dachte einen Moment lang nach, aber es ergab für mich keinen Sinn. »An mir ist nichts Besonderes. Ich bin der durchschnittlichste Mensch, der dir je begegnet ist.«
»Das bezweifle ich sehr«, erwiderte sie. »Abe verfügte über eine seltene und sehr besondere Gabe, etwas, das sonst niemand beherrschte.«
Und dann sah sie mir in die Augen und sagte: »Er konnte die Monster sehen.«
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9. Kapitel
E r konnte die Monster sehen.
Bei Emmas Worten holte mich das Grauen ein. Ich dachte, ich hätte das Thema überwunden. Aber sie waren echt. Sie waren echt und hatten meinen Großvater getötet.
»Ich kann sie auch sehen«, flüsterte ich ihr zu, als wäre es ein peinliches Geheimnis.
Emma riss die Augen auf und umarmte mich. »Ich wusste, dass du etwas Besonderes an dir hast«, sagte sie.
Mir war immer klar gewesen, dass ich
sonderbar
war. Aber ich hätte nicht im Traum gedacht,
besonders
zu sein. Wenn ich jedoch Dinge sehen konnte, die sonst niemand sah, so erklärte dies, warum Ricky in jener Nacht, als mein Großvater starb, im Wald nichts gesehen hatte. Es erklärte auch, warum mich alle für verrückt hielten. Aber ich war nicht verrückt, ich litt weder unter Halluzinationen noch unter einer Stressreaktion. Diese Panik in meinen Eingeweiden, immer wenn
sie
in der Nähe waren, und diese fürchterlichen Fratzen sehen zu können – das war meine Gabe.
»Und ihr könnt sie überhaupt nicht sehen?«, fragte ich.
»Nur ihre Schatten. Deshalb jagen sie vor allem nachts.«
»Was hält sie davon ab, dich jetzt zu verfolgen?«, fragte ich und korrigierte mich sofort: »Uns alle, meine ich.«
Emma wurde ernst. »Sie wissen nicht, wo sie uns finden können. Und sie vermögen nicht, in Zeitschleifen einzutreten. Deshalb sind wir auf der Insel sicher – aber wir können nicht von hier fort.«
»Victor hat es jedoch getan.«
Sie nickte traurig. »Er sagte, er würde hier verrückt werden und könne es nicht länger ertragen. Arme Bronwyn. Mein Abe ist auch weggegangen, aber wenigstens wurde er nicht von Hollows ermordet.«
Ich zwang mich, sie anzusehen. »Es tut mir ehrlich leid, dass ich dir das sagen muss …«
»Was denn? O nein!«
»Alle hatten mich davon überzeugt, dass es wilde Tiere gewesen sein mussten. Aber wenn das stimmt, was du mir erzählst, wurde mein Großvater von diesen Wesen umgebracht. Das erste und einzige Mal, dass ich einen von ihnen gesehen habe, war in der Nacht seines Todes.«
Emma zog die Knie an die Brust und schloss die Augen. Ich legte den Arm um sie, und sie lehnte den Kopf gegen meinen.
»Ich wusste, dass sie ihn irgendwann erwischen würden«, flüsterte sie. »Er hat mir versprochen, dass er in Amerika sicher sei. Dass er sich schützen könne. Aber wir sind nie und nirgendwo sicher – keiner von uns.«
Wir saßen auf dem Schiffswrack und redeten, bis der Mond schon tief am Himmel stand, uns das Wasser bis an den Oberkörper schwappte und Emma zu frösteln begann. Wir fassten uns an den Händen und wateten zurück zum Boot. Als wir auf die Küste zuruderten, hörten wir Stimmen, die
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