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Die Insel der besonderen Kinder

Die Insel der besonderen Kinder

Titel: Die Insel der besonderen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ransom Riggs
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wandte sich Miss Peregrine uns zu und sagte mit leiser Stimme: »Ich bin sehr enttäuscht von dir, Miss Bloom. Furchtbar enttäuscht. Sich ausgerechnet heute Nacht davonzuschleichen.«
    »Es tut mir leid, Miss. Aber woher sollte ich wissen, dass etwas Schlimmes passieren wird?«
    »Ich sollte dich bestrafen. Aber in Anbetracht der Situation scheint mir das nicht der Mühe wert.« Sie strich über das weiße Haar ihrer Mentorin. »Miss Avocet hätte ihre Schützlinge nie allein gelassen, wenn nicht etwas Schreckliches passiert wäre.«
    Das lodernde Feuer trieb mir die Schweißperlen auf die Stirn, doch Miss Avocet lag zitternd im Sessel. Würde sie sterben? Würde sich die tragische Szene wiederholen, die sich zwischen mir und meinem Großvater abgespielt hatte, dieses Mal mit Miss Peregrine und ihrer Lehrerin? Ich stellte mir vor, wie ich den Körper meines Großvaters gehalten hatte, ängstlich und verwirrt, nichts ahnend von der Wahrheit über ihn oder mich selbst. Was hier passiert, ist damit nicht zu vergleichen, entschied ich. Miss Peregrine hatte schließlich immer gewusst, wer sie war.
    Es mochte vielleicht nicht der geeignete Zeitpunkt sein, um das Thema anzusprechen, aber ich war wütend und konnte nicht anders. »Miss Peregrine«, begann ich, und sie sah zu mir hoch, »wann hatten Sie vor, es mir zu sagen?«
    Sie wollte offenbar fragen »Was?«, aber dann wanderte ihr Blick zu Emma, und sie schien die Antwort im Gesicht des Mädchens zu lesen. Einen Moment lang wirkte Miss Peregrine verärgert, aber dann sah sie meinen Zorn, und ihr eigener verebbte. »Bald, Junge. Bitte versteh mich. Wenn ich dir bei unserer ersten Begegnung die ganze Wahrheit gesagt hätte, wäre das ein fürchterlicher Schock für dich gewesen. Ich wusste nicht, wie du darauf reagieren würdest. Vielleicht wärest du fortgelaufen und nie zurückgekommen. Dieses Risiko durfte ich nicht eingehen.«
    »Stattdessen haben Sie versucht, mich mit Essen und Spaß und dem Mädchen zum Bleiben zu verführen, und alles Schlechte geheim gehalten?«
    Emma sog hörbar die Luft ein. »
Verführen?
O bitte, so darfst du nicht von mir denken, Jacob. Das könnte ich nicht ertragen.«
    »Ich fürchte, du hast ein völlig falsches Bild von uns«, sagte Miss Peregrine. »Was das Verführen angeht, so ist das, was du siehst, lediglich unser Lebensstil. Du wurdest nicht getäuscht, dir wurden nur ein paar Tatsachen vorenthalten.«
    »Nun, ich habe auch eine Tatsache für Sie«, sagte ich. »Eine dieser Kreaturen hat meinen Großvater umgebracht.«
    Miss Peregrine starrte einen Moment lang ins Feuer. »Ich bedaure sehr, das zu hören.«
    »Ich habe das Wesen mit eigenen Augen gesehen. Als ich den Menschen um mich herum davon erzählte, wollten sie mir einreden, ich sei verrückt. Aber das bin ich nicht, und mein Großvater war es auch nicht. Sein Leben lang hat er mir die Wahrheit gesagt, und ich habe ihm nicht geglaubt.« Das Schuldgefühl überwältigte mich. »Wenn ich es getan hätte, wäre er vielleicht noch am Leben.«
    Miss Peregrine sah, dass ich schwankte, und bot mir einen Sessel gegenüber von Miss Avocet an.
    Ich setzte mich, und Emma kniete sich neben mich auf den Boden. »Abe muss gewusst haben, dass du besonders bist«, sagte sie. »Und er muss einen guten Grund gehabt haben, warum er es dir nicht gesagt hat.«
    »Natürlich wusste er es«, sagte Miss Peregrine. »Er hat es mir in einem Brief geschrieben.«
    »Aber dann verstehe ich es nicht. Wenn all seine Geschichten wahr sind, und wenn er wusste, dass ich so bin wie er, warum hat er es bis zur letzten Minute seines Lebens geheim gehalten?«
    Miss Peregrine fütterte Miss Avocet weiterhin löffelweise mit Brandy. Die Ymbryne stöhnte und setzte sich aufrecht, bevor sie abermals in den Sessel sank. »Ich kann es mir nur so erklären, dass er dich schützen wollte«, sagte Miss Peregrine. »Unser Leben kann voller Strapazen und Entbehrungen sein. Abes Leben war es auf doppelte Weise, da er in den schlimmsten aller Zeiten als Jude geboren wurde. Er hat den Völkermord zweifach erlebt: Die Juden wurden von den Nazis verfolgt und wir von den Hollows. Abe litt unter der Vorstellung, sich hier zu verstecken, während seine Leute abgeschlachtet werden.«
    »Er hat mir immer erzählt, dass er in den Krieg gezogen sei, um gegen die Monster zu kämpfen«, sagte ich.
    »Das war auch so«, versicherte Emma.
    »Der Krieg hat die Herrschaft der Nazis beendet, aber die Hollowgasts gingen stärker als je zuvor

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