Die Insel der Dämonen
kommen die denn auf einmal her?«, staunte Marguerite.
»Nun, ich habe einige zur Seite gelegt und gut versteckt, damit gewisse Süßmäuler mir nicht das Fest verderben«, grinste Damienne .
»Wie schön«, sagte Marguerite.
»Jetzt noch ein Glas heiße Milch, und ich wäre zufrieden«, seufzte Damienne.
»Ja, bei Marcel in der Küche sitzen und dem Tratsch aus dem Schloß lauschen, wie früher an Weihnachten, das wäre jetzt schön«, sagte Marguerite.
Sie lächelten beide bei der Erinnerung an die Küche des Château de Roberval, dem eigentlichen Mittelpunkt des Hauses - zumindest was die beiden Frauen und den Koch betraf.
»Wie es Marcel wohl ergangen ist?«, fragte Marguerite.
»Und den anderen?« Damienne seufzte.
Sie wollten beide nicht an den Onkel denken, aber um all die anderen machten sie sich jetzt Gedanken.
»Ich hoffe, sie feiern ein friedliches Weihnachtsfest«, sagte Marguerite.
Ruhig war das Weihnachtsfest in France-Roy, wie de Roberval die kleine Festung getauft hatte, aber es war die Ruhe eines Gräberfeldes, und der dichte Schnee und die bittere Kälte, die seit Tagen die Ansiedlung zudeckten, erschienen den Kolonisten wie ein einziges großes Leichentuch. Unweit der großen Halle hingen sechs halb verweste Körper in den Bäumen: Männer, die de Roberval hatte hinrichten lassen. Vier waren des Verrats beschuldigt worden, die beiden anderen hatten Lebensmittel gestohlen. Einen weiteren Dieb, an dessen Schuld gewisse Zweifel bestanden, hatte der Vizekönig in Ketten auf einer der unbewohnten Inseln im Fluß aussetzen lassen, was einem Todesurteil gleichkam.
Unten am Wasser standen die beiden Mühlen still. Die Siedler hatten sie unter großen Strapazen errichtet und sie waren gewissermaßen der Stolz der Kolonie - doch es gab nichts, was sie hätten mahlen können. Außerdem war der Strom zugefroren, was sie bei Planung und Bau der Mühlen nicht bedacht hatten.
Sie zehrten von den kümmerlich Resten der Vorräte, die sie aus der Heimat mitgebracht hatten, und der Skorbut setzte ihnen zu. Die Männer und Frauen der Kolonie waren allesamt bis auf die Knochen abgemagert, ihr Zahnfleisch schwoll an und sie bekamen Flecken am ganzen Körper.
Die benachbarten Indianer, bislang den Fremden eher feindselig gesonnen, empfanden nur noch Mitleid. Sie kannten die Krankheit der Siedler, denn auch sie litten in langen Wintern unter dem Mangel an frischer, vitaminreicher Nahrung. Allerdings verfügten sie über ein wirksames Gegenmittel, eine Art Tee aus der Rinde der Weißzeder. Cartier hatte im letzten Winter von dieser Medizin erfahren und mit ihr viele seiner Leute retten können.
Doch de Roberval wußte nichts von diesem wirksamen Mittel - und er kam auch nicht auf die Idee, die unzivilisierten Wilden um Hilfe zu bitten. Lieber ließ er seine Leute fast täglich ein neues Grab in der hart gefrorenen Erde ausheben.
Anfang Januar wurde es auf der Insel der Dämonen noch einmal richtig bitterkalt und ein schneidender Wind brachte große Mengen Schnee. Strenger Nachtfrost ließ den Bach und den Mückensee zufrieren und so war es erst einmal vorbei mit frischem Fisch.
Es war ein schwacher Trost, daß es in diesen kalten Nächten die wunderbarsten Nordlichter zu bewundern gab. Auch Krebse waren jetzt nicht mehr zu finden und die Salinen in der Salzbucht lagen unter einem Eispanzer begraben. Mit Staunen erlebten Marguerite und Damienne, daß sich an der Küste und auch auf dem offenen Meer Eis bildete. Dicke Schollen trieben über das Wasser und dazwischen zeigte sich hier und da das schroffe Profil eines Eisbergs.
Marguerite machte es Mühe, hinunter zum Strand zu gehen. Sie war inzwischen kugelrund und sie spürte erste Bewegungen im Leib. Zunächst dachte sie noch, es seien Blähungen, aber Damienne lächelte, fühlte ihren Bauch und sagte: »Das ist dein Kind, das sich da meldet. Es will wohl hinaus. Wir sagen ihm aber, daß es noch warten soll - es ist ja auch viel zu kalt hier draußen! Und wir haben keine Handschuhe für das Kleine.«
»Wann wird es denn endlich so weit sein?«, seufzte Marguerite, die sich dick und häßlich fühlte.
»Genau kann ich es nicht sagen, ich bin ja keine Hebamme, aber wenn ich dich so ansehe, denke ich, es wird März oder vielleicht sogar April werden.«
»April? Das halte ich nicht aus!«
Marguerite stöhnte, denn das zusätzliche Gewicht machte ihr mehr und mehr zu schaffen. Sie litt unter Kreuzschmerzen und hatte mittlerweile schon Schwierigkeiten, in
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