Die Insel der Dämonen
ihre Schuhe zu schlüpfen. In ihrem Zustand wagte sie es kaum mehr, auf die Jagd zu gehen, und so mußten die beiden Frauen auf ihre Vorräte zurückgreifen, um über den Winter zu kommen.
Die Nächte waren schlimm, denn ihre Lehmhütte war schlecht isoliert und das Feuer reichte kaum aus, die Temperatur innen über dem Gefrierpunkt zu halten. Sie drängten sich nachts dicht aneinander, deckten sich mit den Fellen zu und legten noch Feldsteine, die sie im Feuer erhitzt hatten, darunter. Trotzdem froren sie oft. Die Morgen waren kaum besser. Es kostete große Überwindung aufzustehen, wenn an der Decke Reif glitzerte und sich selbst an den Wänden der Hütte Eiskristalle zeigten. Meist war es Damienne, die sich mit sturer Entschlossenheit als Erste erhob, das Feuer wieder anheizte und Schnee taute, damit sie sich waschen konnten.
Marguerite stand meist spät auf. Wenn sie erwachte, dachte sie oft, Henri müsse neben ihr liegen - bis ihr wieder bewußt wurde, daß er fort war. Dann war sie wie erschlagen und die Trauer lag wie Blei auf ihr.
Ende Januar türmten sich westlich der Insel die Eisschollen im kalten Polarstrom. Es sah beinahe so aus, als könnten sie eine geschlossene Decke bilden.
»Ob das Meer hier im Winter ganz zufriert, Damienne?«, fragte Marguerite, als sie an einem der ruhigeren Tage hinunter zum Meer spaziert waren, um das Naturschauspiel zu bewundern.
»Hier ist alles möglich, scheint mir«, antwortete Damienne.
Die beiden schwiegen eine Weile und lauschten dem lauten Krachen und Schaben, das entstand, wenn sich die Schollen übereinanderschoben.
»Glaubst du, daß wir über das Eis von dieser Insel fliehen können, Damienne? Es kann doch nicht weit nach Baccalaos sein.«
Damienne antwortete nicht gleich. Der Gedanke war ihr auch bereits gekommen, doch sie wußte: Das Eis war tückisch. »Ich kann mir nicht vorstellen, daß wir einfach so drüber spazieren können. Schon gar nicht du mit deinem dicken Bauch.«
»Ich wollte nicht wissen, ob es einfach ist, ich habe gefragt, ob es möglich ist - Bauch hin oder her!«
»Nun, wir haben Ende Januar, wenn es bis Ende Februar so barbarisch kalt bleibt, dann ist es vielleicht möglich. Dann vielleicht.«
Beiden war klar, daß dieser Weg schwierig und voller Verzweiflung wäre.
»Ich glaube nicht, daß wir es schaffen, bei deinem Zustand«, sagte Damienne noch einmal, »es ist viel zu gefährlich. Außer- dem - wenn der Nachtfrost nicht bald nachläßt, werden wir das Ende des Monats vielleicht gar nicht erleben.«
»Ach, du übertreibst«, sagte Marguerite, aber sie wußte, daß es stimmte.
Trotzdem waren sie jeden Tag, an dem das Wetter es zuließ, unten am Meer, um zu sehen, wie das Eis zusammenwuchs. Die Eisschollen verkeilten sich und wurden stärker, es entstanden ganze Inseln aus Eis, aber sie waren noch weit davon entfernt, eine geschlossene und vor allem feste Decke zu bilden.
Ihre Insel lag genau dort, wo sich zwei große Meeresströmungen mischten. Vom Norden her brachte der Labradorstrom Frost, Eis und kalte Luft aus der Polarregion herunter, doch von Süden kam mit einem anderen Strom wärmeres Wasser zur Insel. Im Januar hatte der Labradorstrom die Insel in seinem eisigen Griff gehabt, doch jetzt, Mitte Februar, drehte der Wind und über das offene Meer kam milderes Wetter von Süden her. Es war immer noch Winter, doch der zeigte sich zunehmend verregnet und naß. Bald würde es tagsüber tauen und nachts nur noch leichter Frost herrschen. Die Eisschollen auf dem Meer würden kleiner werden und die großen Treibeisinseln zerbrechen.
Ende Februar stand endgültig fest, daß es keine Möglichkeit geben würde, über das Eis zu entkommen.
Die Tritte des Kindes waren in dieser Zeit deutlich spürbar und Marguerite hatte mitunter starke Schmerzen. Sie fragte Damienne, ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen sei.
»Weder noch, Lämmchen, das sind nur Vorwehen. Aber das bedeutet nicht, daß es bald so weit ist. Und wenn ich dich so anschaue, würde ich sagen, noch mindestens einen Monat, eher sechs Wochen.«
»Ein ganzer Monat? Wie soll ich das nur aushalten!«
»Genau wie all die anderen Frauen vor dir auch, Lämmchen, also stell dich nicht so an!«
Marguerite hatte inzwischen enorme Schwierigkeiten, in die Fellstiefel zu kommen, die Damienne für sie gefertigt hatte. Trotzdem mußte der Haushalt weiter versorgt werden. Ihre Vorräte gingen zur Neige, und es blieb ihnen nichts anderes übrig, als doch wieder zu jagen.
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