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Die Insel der Dämonen

Die Insel der Dämonen

Titel: Die Insel der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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deine erste Wehe heute, oder?«
    »Nein, ich hatte vorhin schon eine, auf dem Pfad, und davor auch schon ...«
    »Dann sollten wir dich nach Hause bringen.«
    »Ich weiß nicht, ob ich es bis dorthin schaffe.«
    »Laß das Holz liegen, Lämmchen«.
    Marguerite ließ das Bündel fallen. Sie hatte sich, als die Wehe kam, daran festgeklammert und war bislang gar nicht auf die Idee gekommen loszulassen. Auf dem Heimweg hörte sie mit einem Mal wieder die Geisterstimme, die von irgendwo hoch oben ihr Lied sang. Sie hatte sie so lange nicht vernommen oder vielleicht hatte sie sie auch einfach nicht wahrgenommen - aber jetzt meldete sie sich unüberhörbar. Damienne murmelte ein Gebet und bekreuzigte sich.
    Sie waren kaum zu Hause, als die nächste Wehe kam. Es ging jetzt immer schneller. Marguerite wollte sich hinlegen, aber die Schmerzen waren so stark, daß sie es nicht aushielt. Sie stand, kauerte, saß, lag - aber es half nichts. Sie hätte nie geglaubt, daß ihr je etwas so wehtun könnte - und so ging es über Stunden. Als sie es gar nicht mehr aushalten konnte, sagte Damienne: »Ich glaube, jetzt geht es langsam los.«
    Eine weitere Stunde lang erlebte Marguerite im Minutentakt das Gefühl, daß es sie förmlich zerreißen würde. Sie krallte sich in Damiennes Arm, rief nach Henri - und dann kam das Fruchtwasser und Damienne rief: »Du mußt jetzt pressen, Kind!«
    Marguerite, die glaubte, vor Schmerz ohnmächtig zu werden, preßte, und dann - ein heller Säuglingsschrei, und es war vorbei. Marguerite fiel völlig erschöpft zurück auf ihr Lager. Sie hatte ihr Kind geboren.
    »Sieh an, ein Mädchen«, lächelte Damienne.
    Sie wusch das Kind mit warmem Wasser ab, trocknete es mit den Überresten eines ihrer Unterröcke, wickelte es in einen anderen ein und legte es Marguerite in die Arme.
    Marguerite nahm es, sie war schweißgebadet und völlig erschöpft, aber auch so glücklich und erleichtert wie noch nie zuvor. Sie lächelte, küßte die Stirn des Kindes und sagte: »Henriette, wir wollen dich Henriette nennen.«
    Draußen heulte eine einsame Stimme, irgendwo in der Ferne.
    »Nein«, sagte sie, »mein Kind wirst du nicht bekommen.«
    Und dann dachte sie an Henri und sie weinte.
    Damienne nahm unterdessen die Nachgeburt an sich und wickelte sie in ein zerlumptes Stück Stoff.
    »Beim nächsten Neumond werde ich sie vergraben, das wird uns vor dem Schlimmsten schützen.«
    Es war der 17. April 1543.
    Sie waren nun zu dritt und das machte das Leben nicht unbedingt einfacher. Marguerite verlor schnell die Pfunde, die sie durch die Schwangerschaft gewonnen hatte, und schon bald sah man ihr nicht mehr an, daß sie vor Kurzem ein gesundes, wenn auch schmächtiges Mädchen geboren hatte.
    Der Frühling ließ sich Zeit und bis in den Mai hinein erlebten sie frostige Nächte und sogar Schnee am Tage. Damienne achtete streng darauf, daß Marguerite genug aß, denn nur so würde die Muttermilch kräftig genug sein für die kleine Henriette.
    Marguerite entging nicht, daß Damienne zu ihren Gunsten auf Essen verzichtete und bald weniger aß als ein Spatz. Trotz aller Fürsorge blieb Henriette ein schmales, mageres Kind. Marguerite stillte sie, sooft es ging, und das Mädchen wuchs, blieb aber immer unter dem Gewicht, das Kinder nach Damiennes Meinung in ihrem Alter haben sollten. Außerdem war Henriette sehr ruhig.
    »Das ist nicht normal«, sagte die Normannin immer wieder. »Kinder müssen weinen und schreien, bis man es nicht mehr aushält, aber dieser kleine Engel hier, der weint ja nicht einmal.«
    »Weil es ihr gut geht«, sagte Marguerite, »und weil sie immer bei mir ist.«
    Das war sie tatsächlich: Damienne und Marguerite hatten aus einem Stück Fell eine Art Tragebeutel gefertigt, den sich Marguerite über den Rücken legen konnte. Sie nahm Henriette sogar mit auf die Jagd - und sie mußte sich keine Sorgen machen, daß ihre Tochter das Wild etwa durch lautes Schreien verschrecken würde. Selbst der Knall eines Schusses brachte Henriette nicht zum Weinen. Sie sah dann nur mit großen, blaßblauen Augen noch etwas staunender in die Welt hinein, als sie es ohnehin tat.
    Es wurde Sommer und das Nahrungsangebot reichhaltiger. Aber es blieb dabei, Damienne aß wenig und schien sich nur darum zu sorgen, daß Marguerite und damit die kleine Henriette genug zu essen bekamen, selbst wenn sie Erfolg auf der Jagd hatten. Dann achtete Damienne darauf, daß sie genug Fleisch räucherten oder pökelten, damit Mutter und Kind

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