Die Insel der Dämonen
Fischhändlerin erzählen, wie ein Fisch aussieht?«
»Oder es war ein Wal, wie er in den Nordmeeren gejagt wird.«
»Die werden aber auch keine zweihundert Schritt lang, mein Kind.«
»Wie ich sagte, vielleicht waren es zwei.«
»Nein, es war der Leviathan, der den Eingang zur Hölle bewacht.«
»Und der liegt unter Wasser?«
»Schweig still! Ich bin sicher, es gibt auch einen Eingang unter Wasser, für die sündigen Seelen der Ertrunkenen. Und für die sollten wir jetzt beten.«
Und damit hatte Damienne die Diskussion beendet.
Es wurde Herbst, und Henriette liebte die bunten Blätter, mit denen sie tagaus, tagein vor der Hütte spielte. Marguerite bastelte ihr sogar eine Art Schmuckkette aus Laub, die sie ihr über die Schlafstatt hängte. Henriette lächelte, und wenn sie lächelte, ging Marguerite immer das Herz auf. Aber sie blieb ein stilles Kind, das nicht klagte und nicht schrie.
Auch Damienne klagte wenig, obwohl sie immer noch eiserne Diät hielt, um die Vorräte für den Winter zu vergrößern. Dabei hatte die Lachssaison eingesetzt, und sie fingen mehr Fische, als sie essen konnten. Doch Damienne hängte sie fast alle in die Räucherkammer.
»Man weiß auf dieser verfluchten Insel nie, was passiert. Es ist besser, in guten Zeiten etwas zurückzulegen, als in schlechten Zeiten zu hungern.«
»Trotzdem solltest du mehr essen, Damienne! Du bist ja nur noch Haut und Knochen.«
»So? Aber Mademoiselle sehen aus wie eine Dame bei Hofe, oder wie darf ich das verstehen? Ist Elchfell dieses Jahr a la mode ? Trägt man das so in Paris?«
Marguerite lachte und Damienne stimmte ein. Sie sahen beide aus wie Wilde - ihre alte Kleidung war zerrissen und zerfetzt, und jetzt, wo es kühl wurde, trugen sie darüber grob bearbeitete Felle. Es war das erste Mal seit Langem, daß sie beide befreit lachen konnten. Es sah so aus, als würden sie auch den nächsten Winter überstehen - und dann, irgendwann, würden Retter kommen. Diese Hoffnung gab ihnen Mut.
Ihre heitere Zuversicht wurde durch einen Zwischenfall erschüttert. Damienne war unten am Bach, um mit ihrer Lanze den letzten Lachsen aufzulauern. Marguerite war oben in der Hütte, spielte mit Henriette und bereitete nebenher das Feuer für das Essen vor. Plötzlich hörte sie lautes Schreien vom Bach. Damienne schrie um Hilfe! Marguerite trat vor die Tür. Unten auf der Wiese lief Damienne um ihr Leben, und ihr folgte, in einiger Entfernung, ein Bär. Marguerite stockte der Atem - sie rannte zurück in die Hütte, griff sich die nächste Arkebuse und entzündete die Lunte am Herd. Ihr Herz schlug vor Aufregung bis zum Hals, aber ihre Hände waren ganz ruhig. Sie rannte wieder hinaus.
Damienne war noch gut fünfzig Meter von der Hütte entfernt. Der Bär war etwas zurückgefallen. Er war wohl zum Bach gekommen, um Lachse zu fangen, als er die zweibeinige Konkurrentin entdeckte. Er wollte sie nur vertreiben - das war ihm gelungen - und stand nun vor der Wahl, das seltsame, mißtönend kreischende Wesen weiter zu verfolgen oder sich doch wieder der Jagd auf seine Leibspeise zu widmen. Inzwischen trottete er unentschlossen und immer langsamer hinter der fliehenden Damienne her.
Marguerite wußte, daß der Bär für einen guten oder gar tödlichen Schuß zu weit entfernt war, aber Damienne war in Gefahr - sie zielte kurz, atmete aus, wie Henri es sie gelehrt hatte, und drückte ab.
Der Schuß hallte wie Donner von den Hügeln. Der Bär hielt inne. Marguerite hatte ihn in die Schulter getroffen. Sofort rannte sie zurück in die Hütte, um die zweite und die dritte Büchse zu holen - als sie zurückkam, stand der Bär auf den Hinterläufen und sah sich um. Irgend etwas hatte ihn verletzt - aber was?
Damienne fiel Marguerite um den Hals. Marguerite schüttelte sie mit einer heftigen Bewegung ab: »Lad die Büchse nach, wir müssen ihn erwischen!«
Bleich und verwirrt starrte Damienne sie an, und Marguerite erkannte, daß sie auf sich allein gestellt war. Der Bär war für einen guten Schuß immer noch zu weit entfernt. Er brüllte zwar, aber er kam nicht näher. Marguerite zögerte kurz, dann trat sie ihm entgegen. Er durfte nicht entkommen. Wenn ein Bär in der Nähe war, bedeutete das ständige Gefahr - für sie, für Damienne und für Henriette.
Mit zusammengebissenen Zähnen ging sie den Hügel hinab - langsam jetzt, um den Bären nicht vor der Zeit zu verjagen.
Der Bär sah sie kommen. Er verstand immer noch nicht, was geschehen war, aber er spürte
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