Die Insel der Dämonen
eines Tages sogar hinauf in den Norden, um mir das Höllentor anzusehen.«
»Das wirst du nicht tun«, verbot ihr Marguerite entschieden. »Für solche Torheiten bist du nun wirklich zu alt!«
»Alt? Ich bin eine Frau in den besten Jahren!«
»Ja, und alle Männer dieser Insel sind verrückt nach dir«, lachte Marguerite.
»Phh, du hast ja keine Ahnung!«
Ende November war es so kalt, daß der Bach gefror. Der einzige Weg, an frischen Fisch zu kommen, war, wieder ein Loch in das Eis zu schlagen und dort Köder auszulegen. Sie angelten meist oben am See, aber auch am Bach gab es einige tiefere Stellen: zum Beispiel dort, wo Marguerite den Bären erlegt hatte. Dort gab es auch bei starkem Frost noch Fische unter dem Eis.
Sie hatten dafür eine primitive Angel mit Knochenhaken gefertigt und auch mit der alten Holzlanze machten sie Jagd auf Fische; allerdings war ihnen nicht allzu viel Erfolg beschert. Seit sie auf der Insel waren, schien der Fischbestand ständig zurückgegangen zu sein.
Der Dauerfrost machte ihnen allmählich Sorgen, denn bis Mitte Dezember blieb es eisig kalt und noch einen langen und strengen Winter würden sie vielleicht nicht überstehen. Es war schwierig, Holz zu besorgen, und auf der Jagd blieben sie meist erfolglos. Nur ein einziges, mageres Dämonenhuhn erwischte Marguerite kurz vor Weihnachten. Sie mußten von ihren Vorräten zehren.
Immerhin schwieg die Stimme. »Selbst den Dämonen ist es zu kalt«, erklärte Damienne.
Leider war es auch ihnen selbst zu kalt. Wieder entdeckten sie morgens an der Decke und an den Wänden Eiskristalle, und wenn sie sich waschen wollten, dann mußten sie zuerst Eis hacken und es schmelzen - eine langwierige Angelegenheit. Nahrung hatten sie vorerst noch genug, aber es war schwierig, genug Feuerholz zusammenzutragen. Das Holz war, wenn es nicht mit Schnee bedeckt war, festgefroren.
Aber dann, gerade zwei Tage vor Weihnachten, setzte Tauwetter ein. Sie waren von früh bis spät im Wald und sammelten so viel Holz, wie sie nur konnten.
»Dieses Wetter schickt uns der Himmel«, sagte Marguerite.
»Oder der Teufel, der uns falsche Hoffnungen machen will«, erwiderte Damienne düster.
Aber wer immer es geschickt hatte - das Wetter hielt die ganze Woche bis zum Jahreswechsel an und auch danach blieb es ungewöhnlich mild. Selbst nachts gab es kaum noch Frost. Der Bach taute wieder auf - zumindest teilweise, und Marguerite hatte sogar Glück auf der Jagd.
»Es sieht aus, als würden wir auch diesen Winter überstehen«, sagte sie eines Abends, als sie die kleine Henriette auf ihren Knien schaukelte.
»Mir gefällt das nicht«, sagte Damienne, die seltsam unruhig war. »Irgend etwas an diesem Wetter weckt böse Ahnungen in mir.«
»Keine Angst, Bären halten Winterschlaf«, sagte Marguerite, um ihre Freundin zu ärgern, aber Damienne ging nicht darauf ein.
Am Tag darauf kam die Kälte zurück und sie schien noch strenger zu sein als im Dezember. Dann plötzlich wurde es wieder warm - Tauwetter und Frost wechselten sich beinahe täglich ab.
»Das ist doch nicht normal«, murmelte Damienne, »da treibt jemand Schabernack mit uns, und ich bin sicher, dieser Scherz wird böse für uns enden.«
Die Unruhe in ihr wuchs. Ihr Herz war schwer, ohne daß sie hätte sagen können, weshalb. Selbst ihre abendlichen Gebete beruhigten sie nicht länger. Sie hatte auf einmal das seltsame Gefühl, daß die Heiligen ihr nicht mehr zuhörten.
»Wahrscheinlich drängen die sich auch alle nur um den warmen Ofen«, murmelte sie eines Abends im Januar mißvergnügt .
Die nächste Nacht war wieder viel zu mild für die Jahreszeit. Damienne schlief schlecht und erwachte völlig zerschlagen noch vor Sonnenaufgang. Es war ihr zu warm unter ihrem Bärenfell und sie spürte ein leichtes Ziehen in den Knochen.
Das Wetter schlägt wieder um, dachte sie, und diesmal wird es richtig Winter.
Sie stand auf, heizte das Herdfeuer an, öffnete die Tür und starrte hinaus. Es war noch dunkel, aber es roch nach Schnee. Kalter Wind zog über den Wald und die Wiese. Er kam von Norden.
Marguerite und Henriette lagen noch im Bett und schliefen. Damienne lächelte. Sie konnte es immer noch nicht recht glauben, daß ihr kleines Lämmchen inzwischen Mutter geworden war.
Dann warf sie einen Blick in die Vorratskammer: Sie hatten Pökelfleisch und geräucherten und getrockneten Fisch, aber sie spürte ein starkes Verlangen nach frischer Nahrung. Kurzerhand schnappte sie sich ihre Fischlanze und
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