Die Insel der Dämonen
Anne, und kehrte Kanada für immer den Rücken.
Die Schiffe nahmen die kürzere, die südliche Route und blieben so weit von der Insel der Dämonen entfernt. Ob de Roberval oft an seine Nichte dachte? Er sollte sie nie wiedersehen. Vor ihm lagen Jahre der Mühen mit endlosen Prozessen - unter anderem gegen Cartier, den er des Verrats beschuldigte. Er würde diesen Prozeß verlieren, wie die meisten anderen auch, bei denen es um seine Schulden und seine Güter ging. Selbst um das Château de Roberval würde er lange kämpfen müssen. Und dieser zermürbende Kampf sollte fast bis an sein Lebensende andauern. Und eines fernen Tages, genauer: in einer nebligen Nacht des Jahres 1560, bei der Rückkehr von einer geheimen hugenottischen Versammlung, würde er durch die Hand eines Attentäters sterben, in Paris, am Friedhof der Unschuldigen.
Doch das alles lag noch in ferner Zukunft und im Augenblick machte de Roberval an Bord der Anne schon wieder Pläne für seine Rückkehr und eine neue Kolonie.
Auf der Insel der Dämonen zog indes der Sommer, ein kühler und verregneter Sommer, schnell vorüber. Henriette war immer noch ein schmächtiges und stilles Mädchen, das niemals schrie und weinte und die Welt lediglich mit großen und ruhigen Augen zu bestaunen schien. Sie weinte nicht, aber sie lachte auch nur selten, und wenn, dann immer nur kurz und verhalten.
»Von dir hat sie das ruhige Wesen jedenfalls nicht«, sagte Damienne immer wieder.
»Aber auch nicht von dir«, lächelte Marguerite dann.
Für die beiden Frauen blieb das Leben auf der Insel ein täglicher Kampf ums Überleben. Sie mußten keinen Hunger leiden - auch weil Damienne sich noch immer zurückhielt, was das Essen anging. Die Vorratskammern, die sie neben der Hütte in den Hügel gruben, waren gut gefüllt mit geräuchertem und gepökeltem Fisch und Fleisch. Dafür waren sie von früh bis spät auf den Beinen, sammelten Holz und Salz, jagten Vögel und fischten nach Forellen, und gelegentlich machten sie sich auch auf die Jagd nach Krebsen. Nur die Elchjagd vermieden sie, weil Marguerite es nicht riskieren wollte, mit Henriette auf dem Rücken einem Elchbullen zu begegnen.
In den Norden gingen sie auch nicht, auch wenn das Thema Damienne keine Ruhe ließ. »Ich möchte nur wissen, was er da gesehen hat«, sagte sie immer wieder.
»Es hat ihn sehr erschreckt und deshalb werden wir dort nicht hingehen«, erwiderte Marguerite.
»Natürlich nicht, Lämmchen, aber interessieren würde es mich schon.«
Marguerite fand es seltsam, daß das Tor zur Hölle Damienne so beschäftigte - sie, die fromme Damienne, die kein Gebet ausließ und im vergangenen Jahr noch bei jedem Geräusch den Angriff eines Dämons gefürchtet hatte! Ihr selbst war Henris letzter Wille heilig. Sie brauchte kein Höllentor, und sie wollte nicht wissen, wie es aussah. Es reichte ihr schon, daß diese Angst einflößende Stimme den Himmel über der Insel beherrschte. Und immer wenn sie glaubte, sich an den leisen, aber eindringlichen Klang gewöhnt zu haben, fand die Stimme einen neuen, unheimlichen Ton.
»Es ist sicher einer der Wächter des Höllentors«, meinte Damienne .
»Wenn, dann ist es der Wächter, denn es ist immer nur eine Stimme.«
»Mir scheint es aber manchmal, als wären es zwei oder drei, die immer dasselbe flüstern und singen«, widersprach Damienne.
»Was immer es ist, ich will nicht wissen, was es bedeutet, und ich will es nicht mehr hören! Und auch vom Höllentor will ich nichts mehr wissen!«
Nach solchen Gesprächen wurde Marguerite immer unruhig. Sie lebten von Tag zu Tag und von der Hand in den Mund - aber das konnte nicht ewig so weitergehen. Dann stieg sie auf den Signalhügel, um Ausschau nach Rettung zu halten - aber nie war da ein Segel am Horizont.
Eines Tages sah sie jedoch etwas anderes, einen schwarzen Körper, der durch das kalte Wasser des Ozeans pflügte - er war lang und ungeheuer groß, mit einer mächtigen Schwanzflosse - der Körper tauchte auf, blies Wasser in die Luft und verschwand wieder, um dann nur Sekunden später, etliche hundert Meter entfernt, wieder aufzutauchen. Es war ein faszinierendes Schauspiel, und Marguerite verspürte, zu ihrem eigenen Erstaunen, überhaupt keine Angst. Abends erzählte sie Damienne davon.
»Der Leviathan!«, rief diese und bekreuzigte sich, »wie die Heilige Schrift ihn beschreibt!«
»Für mich sah er eher aus wie ein sehr großer Fisch, vielleicht waren es auch zwei.« »Willst du einer
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