Die Insel der Dämonen
gegen Angreifer geschützt und zusätzlich von mächtigen Mauern umgeben. So war sie während des Hundertjährigen Krieges auch nie in die Hände der Engländer gefallen.
Die schützenden Mauern zwängten die Stadt gleichzeitig aber auch ein, und so waren die Straßen von Saint-Malo viel enger und dunkler, als Marguerite erwartet hatte. Die Häuser waren aus grauem Granit und standen dichtgedrängt. Jeder Quadratmeter Boden war genutzt - Platz für Parks oder Gärten gab es nicht. Ihr neues Zuhause war ein Herrenhaus mitten in der Stadt, mit einem plumpen Wohnturm und winzigen Fenstern.
»Für eine zukünftige Königin ist das nicht gerade sehr repräsentativ«, sagte sie, als sie ihr Zimmer das erste Mal betrat.
»Vizekönigin«, murmelte Damienne.
Regen klatschte aus dichten Wolken gegen die Fenster und ließ die schmalen Gassen noch dunkler und schmutziger wirken.
»Zum Glück bleiben wir nicht allzulange«, seufzte Marguerite.
»Abwarten«, sagte Damienne, »es kommt selten so, wie man denkt.«
»Ach, du! Immer rechnest du mit dem Schlimmsten!«
»Und meistens habe ich recht«, grinste Damienne auf sehr undamenhafte Art, »aber vielleicht geht es ja auch schneller als erwartet. Jedenfalls tut es gut, wieder am Meer zu sein. Der Geruch des Salzwassers hat mir mehr gefehlt, als ich dachte. Auch wenn es hier für meinen Geschmack ein bißchen zu sehr nach Bretonen riecht.«
Damienne stammte aus der Normandie und Marguerite hörte aus ihren Worten die tiefe gegenseitige Abneigung zwischen Normannen und Bretonen heraus.
»Sie werden dich schon nicht beißen«, lachte Marguerite.
»Auch das bleibt abzuwarten, mein Kind«, sagte Damienne würdevoll. »Jetzt laß uns aber lieber mal mit dem Auspacken beginnen.«
Die ersten Tage im neuen Heim waren aufregend und es gab viel zu tun. Das Gepäck mußte verteilt und ausgepackt, die Dienerschaft eingewiesen werden. Auch wenn sie nur einige Wochen in Saint-Malo zu bleiben planten, so beschlossen Marguerite und Damienne doch, aus dem grauen Haus ein gemütliches Heim zu machen.
»So kann ich schon mal üben, für unseren späteren Palast«, sagte Marguerite.
»Wenn ich dich richtig verstanden habe, müssen wir schon froh sein, wenn wir dort drüben überhaupt in einem vernünftigen Haus unterkommen«, murmelte Damienne. Marguerite hatte ihrer Hausdame aus den Reiseberichten Cartiers vorgelesen. Die Abschnitte über das primitive Fort, das die Männer auf ihrer ersten Reise gebaut hatten, hatten Damiennes Mißfallen erregt. »Und ich hoffe sehr, daß sie es wenigstens schaffen, für Männer und Frauen getrennte Schlafräume einzurichten!«, schimpfte sie.
Auch Marguerite hatten diese Passagen nicht besonders gefallen. Abenteuer in fernen Ländern waren etwas Wunderbares, aber mußte man dabei die Nacht unbedingt in einer Holzbaracke auf einer dünnen Lage Stroh verbringen? Mit vierzig weiteren Personen in einem Raum?
In diesem Punkt hatte sie einige Meinungsverschiedenheiten mit ihrem Onkel. Eines Abends hatte sie ihn nach ihrem zukünftigen Zuhause gefragt, und er hatte ihr klargemacht, daß man zumindest die ersten Monate oder vielleicht sogar Jahre mit dem Allernotwendigsten werde auskommen müssen. Er hatte sogar angedeutet, daß Marguerite sich in ihrem Reisegepäck noch weiter würde einschränken müssen. Noch weiter? Schon jetzt hatte sie doch nur einen Bruchteil ihrer wichtigsten Möbel, Bücher und Kleider mitgenommen! Sie konnte unmöglich auf weitere Dinge verzichten. Vor allem nicht auf einen gewissen großen Spiegel, vor dem sie sich anzukleiden pflegte. Ihr Onkel hatte jedoch gelacht und dann sehr bestimmt gesagt, daß es wichtigere Dinge gebe. Sie hatte sich die Reise in ihrem Kopf aufregend und wunderbar ausgemalt, doch ihr Onkel verstand es fast noch besser als Damienne, dieses Bild ein ums andere Mal zu zerstören.
Für das, was er das »Tagesgeschäft« nannte, hatte de Roberval ein Kontor an der Stadtmauer, dicht am Hafen, angemietet. Hier wurden Mitreisende angeworben, Kapitäne verpflichtet und Seeleute angeheuert. Der König hatte 40 000 Livres zur Ausrüstung der Schiffe bereitgestellt und damit stellten Cartier und Roberval nach und nach eine beachtliche Flotte zusammen. Die Grande Hermine, mit der Cartier schon zweimal in der Neuen Welt gewesen war, war das Flaggschiff. Dazu gesellten sich die Émérillon, die Saint-Brieu, die Georges und die Valérie.
Marguerite hielt sich oft im Kontor auf. Sie staunte, wenn sie sah, welch
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