Die Insel der Dämonen
wieder etwas gehört.
Cartier war im Mai in See gestochen. Auch de Roberval wollte im Frühling aufbrechen, wenn die schweren Winterstürme über dem Atlantik nachgelassen hatten.
Bis dahin gab es noch viel zu tun. Die Zahl der Kolonisten war erneut zu niedrig. Dreihundert Menschen sollten mit de Robevals Flotte nach Westen aufbrechen, davon etwa ein Drittel Matrosen und Soldaten. Er hatte erneut Listen auslegen lassen und nach Freiwilligen gesucht. Aber nicht mehr als fünfzig Kolonisten hatten sich aus freien Stücken gemeldet. Also galt es wieder, die Gefängnisse nach »Freiwilligen« zu durchforsten. Die drei Schiffe seiner kleinen Flotte sollten vorerst in Honfleur bleiben und fertig ausgerüstet werden - sehr zur Enttäuschung von Marguerite. Bis Weihnachten blieb sie ohne Zeichen von Henri, was sie fast wahnsinnig machte. Damienne beobachtete das mit wachsender Sorge. Es schien fast so zu sein, daß Marguerite noch öfter an ihren Leutnant dachte als zuvor.
Das Weihnachtsfest verbrachten sie ohne den Herrn des Hauses, der indes Zuchthäuser auf der Suche nach geeigneten Kolonisten inspizierte. Damienne sah das mit Argwohn. Es hielt sich immer noch hartnäckig das Gerücht, de Roberval sei Anhänger der neuen Religion und seine Reise mochte vielleicht nur ein Vorwand sein, um nicht die Christmesse besuchen zu müssen. Andererseits ging es im Hause de Roberval wesentlich gemütlicher zu, wenn der strenge Herr nicht zugegen war. Marguerite wirkte immer unglücklicher, je näher das Weihnachtsfest rückte. Damienne tat es leid, daß ihr Schützling so litt - aber es mußte wohl sein. Wenn der Leutnant es nicht einmal schaffte, zu Weihnachten irgendein kleines Lebenszeichen zu senden, dann war er wirklich keinen Pfifferling wert. Das war er in Damiennes Augen ohnehin nicht, aber sie fühlte sich in ihrer Meinung zunehmend bestärkt.
Die Mitternachtsmesse am Weihnachtstag war eine willkommene Abwechslung. Damienne wußte vielleicht nicht immer, wie man sich in einer Kirche zu benehmen hatte, aber sie war im Grunde ihres Herzens eine fromme Seele. Sie erlebte die Messe als etwas, was ihr Trost, Zuversicht und Stärke spendete. Früher war das auch bei Marguerite so gewesen, aber dieses Mal schien sie während der Messe nicht recht bei der Sache zu sein. Damienne machte sich Sorgen - wenn Marguerite dem Gottesdienst nicht folgte und die Gebete nicht mitsprach, sondern nur gedankenverloren nachplapperte, dann bestand ernste Gefahr für ihr Seelenheil. Damienne nahm sich vor, doch endlich mit Abbé André über die ganze unglückliche Geschichte zu reden. Immerhin war er beinahe Zeuge des ersten - und einzigen - Kusses zwischen den beiden gewesen.
Zu ihrer Überraschung hatte der Priester während all der vergangen Wochen nicht ein einziges Mal nachgefragt. Vielleicht hat er es über seinen fünf täglichen Mahlzeiten vergessen, dachte sie. Sie schmunzelte kurz, aber dann bemerkte sie, daß die Gemeinde sang und sie den Einsatz verpaßt hatte, und schämte sich für ihre unfrommen Gedanken. Es war schwer, sich auf den Gottesdienst zu konzentrieren, wenn einem so viel durch den Kopf ging. Und dann war da noch etwas: Damienne hatte das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Irgendwo in den dunklen Schatten der Kirche stand jemand, der sie ansah. Sie konnte es fühlen, aber sich umzudrehen, untersagte sie sich. Dieses Weihnachtsfest war nicht, wie es sein sollte: der Herr des Hauses nicht in der Kirche, Marguerite unglücklich, sie selbst nicht bei der Sache - und jetzt starrte sie noch jemand an!
Es war das erste Mal seit Langem, daß sie froh war, als die Messe zu Ende war. Als sie sich in der Menge langsam Richtung Ausgang schob, verlor sie Marguerite für einen Augenblick aus den Augen. Dann sah sie sie wieder im Gedränge, einige Meter weiter vorn. Nun, man würde sich draußen treffen.
Plötzlich wurde sie leise angesprochen: »Auf ein Wort, Madame.«
Sie drehte sich um. Es war der Korporal Victor Hermès.
»Was wollt Ihr denn hier?«, zischte sie leise.
»Auch Soldaten gehen in die Kirche, wenn auch vielleicht nicht sehr oft, Madame.«
»Was wollt Ihr von mir?«
»Gebt das Mademoiselle Marguerite«, sagte der Korporal und drückte ihr ein Stück Papier in die Hand.
»Warum gebt Ihr es ihr nicht selbst?«, empörte sich Damienne.
»Es könnte auffallen, Madame, und Ihr wollt doch sicher nicht, daß geredet wird.«
»Ich werde es wegwerfen«, zischte sie. »Ich habe doch gesagt, er soll sie in Ruhe
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