Die Insel der Dämonen
Schreiben, in denen die beiden nur schüchtern Höflichkeiten ausgetauscht hatten, wurde der Briefwechsel mit jeder Zeile glühender. Henri fand in der Bibel - ein anderes Buch hatte er nie gelesen - bildhafte Vergleiche zur Beschreibung der Schönheit Marguerites, die ihr beim Lesen die Schamesröte ins Gesicht trieben. Und je länger die beiden einander nicht sahen, um so größer wurde ihr Verlangen. Doch Damienne hatte, wie man so sagt, noch einen Trumpf im Ärmel: »Marguerite, wenn dein Onkel wieder da ist, muß der Briefwechsel aufhören.«
»Wir finden schon einen Weg.«
»Ja, indem ihr den Unsinn sein laßt, bevor etwas passiert! Du kannst dir nicht vorstellen, was dein Onkel tut, wenn er erfährt, daß sich seine Nichte mit einem einfachen Soldaten einläßt!«
»Er ist Leutnant.«
»Solange er nicht mindestens General ist, ist er nicht gut genug für dich!«
»Aber wir lieben einander!«
»Liebe? Das geht vorbei. Glaub einer alten Frau! Das vergeht.«
Was wußte Damienne denn schon von der Liebe, fragte sich Marguerite. Diese Liebe würde niemals enden! Allerdings hatte ihre Hausdame in dem anderen Punkt recht: Wenn ihr Onkel wieder hier war, war es in der Tat viel zu gefährlich, weiter Briefe zu schreiben. Hoffentlich blieb er noch lange auf See!
Ihre Gebete wurden jedoch nicht erhört. Am 6. Dezember 1541 legte die Lis Bleue im Hafen von Saint-Malo an. Jean-Frangois de La Roque Sieur de Roberval war wohlbehalten von seinen Abenteuern auf See zurückgekehrt.
Die Begrüßung zwischen Marguerite und ihrem Onkel fiel gewohnt kühl aus. Es gab eine kurze Umarmung, bei der de Robeval Marguerite so zurückhaltend umfaßte, als habe er Angst, sie zu zerbrechen.
»Ich freue mich, daß Ihr gesund zurückgekehrt seid, Onkel.«
»Danke, mein Kind. Ist in meiner Abwesenheit etwas Besonderes vorgefallen?«
»Nein, Monsieur. Das heißt, der König hat Euch einen Präsentkorb gesandt und einen Tadel für ... für ...« Marguerite stockte. Sie wußte nicht, wie sie sich taktvoll ausdrücken sollte. Der Onkel hatte behauptet, er wollte auf Handelsreise gehen. Wenn sie jetzt die Botschaft des Königs zitierte, würde sie ihn - wenn auch indirekt - der Lüge bezichtigen, und es war schwer vorauszusehen, wie ihr Onkel darauf reagieren würde.
». für meine Taten als Freibeuter?«, half de Roberval nach.
»Ja, Monsieur«, sagte Marguerite und reichte ihm die Botschaft mit gesenktem Blick.
De Roberval studierte das Schreiben.
»Und der Präsentkorb?«
»Er war riesig, Monsieur, mit Köstlichkeiten gefüllt! Ich fürchte nur, es ist nicht mehr viel davon übrig.«
De Roberval las das Schreiben noch einmal.
»Du verstehst wohl nicht, warum der König meine Taten letztendlich gutheißt?« De Roberval konnte seine Genugtuung kaum verbergen.
Marguerite nickte.
»Ich muß mich vor dir nicht rechtfertigen, mein Kind. Nur so viel: Ich bin Soldat. Durch offenen Kampf habe ich Schiffe erobert und ausgeraubt. Hundert Jahre lang haben wir Franzosen mit den Engländern im Krieg gelegen, ohne daß sie viel Gnade mit unseren Städten und Ländereien gehabt hätten. Das ganze Land haben sie geplündert, nicht nur ein paar Schiffe. Und Raub? Ich war bereit, mit meinem Blut für die Beute zu zahlen. Es gibt keine ehrlichere Währung! Es wird auch nicht das letzte Blut sein, das vergossen werden muß, um Neufrankreich zu gründen. All das weiß der König. Deshalb seine Anerkennung, von der mir aufgrund des guten Appetits meiner Nichte und ihrer Hausdame nicht allzu viel geblieben ist!«
Marguerite war sehr erleichtert, daß ihr Onkel ihr bei der letzten Bemerkung zuzwinkerte. Er nahm es offenbar mit Humor. An einem schlechten Tag hätte das auch harte Strafen nach sich ziehen können. Allerdings irrte de Roberval, wenn er annahm, seine Nichte würde ihn wegen seiner Taten als Pirat verurteilen. Ganz im Gegenteil, sie hätte liebend gern mehr davon erfahren, aber ihr Onkel hatte nichts mehr dazu zu sagen.
In der Nacht schreckte sie plötzlich hoch. Sie hatte etwas vergessen! Leise schlich sie ins Nachbarzimmer und weckte Damienne.
»Was ist denn jetzt schon wieder«, murmelte die Gouvernante.
»Es ist Donnerstag!«
»Und deshalb weckst du mich? Ich hatte vor, bis morgen früh durchzuschlafen. Weck mich, wenn Freitag ist!«
Damienne drehte sich um und zog die Decke wieder über den Kopf.
»Versteh doch, Damienne, morgen ist Freitag!«
»Sag ich doch. Dann darfst du mich wecken. Aber bitte nicht vor
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