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Die Insel der Dämonen

Die Insel der Dämonen

Titel: Die Insel der Dämonen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torsten Fink
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mochte.
    Marguerite nahm dies alles wie durch einen Schleier wahr. Sie sah ihren Onkel auf dem Achterdeck stehen, sie sah Damienne an ihrer Seite, und sie sah die Menschen, die sie umstanden. Aber das alles wirkte unwirklich. Nur Henri, der am Mast von zwei Soldaten festgehalten wurde, nur Henri schien wirklich zu sein. Alle anderen waren wie böse Geister, die sie umschwirrten. Sie hörte kaum, was ihr Onkel zu der Menge sagte, und als de Sauveterre sie verlegen fragte, ob sie ein paar persönliche Sachen mitnehmen wollte, schüttelte sie nur stumm den Kopf.
    Sie sah ihren Onkel nicht an, als sie das Schiff verließ, um über das Fallreep in das Beiboot zu klettern.
    Sie sah nicht, daß Damienne dicht hinter ihr sich noch einmal umdrehte und etwas tat, was sie noch nie getan hatte. Sie blickte Jean-Frangois de Roberval lange an - und dann spuckte sie aus.
    Marguerite hörte nicht das Raunen und Flüstern der Menge, aber als sie in das Beiboot stieg, schickte sie einen letzten und verzweifelten Blick in Henris Richtung. Irgend jemand half ihr ins Boot. Es war de Sauveterre, aber sie nahm ihn nicht wahr. Damienne saß neben ihr und hielt ihre Hand. Die Matrosen stießen mit den Rudern das Boot von der Bordwand ab und mit langsamen Ruderschlägen entfernten sie sich von der Anne und von de Roberval und von Henri. Marguerite starrte ins Nichts, ihre Augen füllten sich mit Tränen.
    Dann schrie jemand laut, Marguerite blickte auf - an Bord schien etwas zu passieren, Leute schrien durcheinander und sie hörte Hauptmann de Pousier fluchen. Plötzlich tauchte an der Reling Henri auf, der sich von seinen Bewachern losgerissen haben mußte. Seine Verfolger waren dicht hinter ihm.
    Henri blickte sich kurz um, zögerte einen winzigen Augenblick - und dann sprang er kopfüber in die Tiefe. Ein heiserer Schrei übertönte alle Rufe, und zwischen den Matrosen, Sträflingen und Arkebusieren, die sich aufgeregt an der Reling versammelten, tauchte der gedrungene, massige Körper de Robervals auf.
    Marguerite sprang auf, das Boot schwankte und Damienne mußte sie festhalten, sonst wäre sie möglicherweise über Bord gegangen. Mit vor Schreck geweiteten Augen sah Marguerite, wie ihr Onkel einem der Soldaten die Arkebuse entriß. Im Wasser tauchte der Kopf von Henri auf. De Roberval legte an.
    Marguerite sah seine Bewegungen in einer Schärfe und Deutlichkeit, die nicht natürlich war. Fast war es, als hätte die Zeit angehalten. Sie sah nicht nur mit entsetzlicher Klarheit, wie ihr Onkel die Arkebuse zum Zielen anhob, ihr war auch, als könne sie die Geräusche hören, die dabei entstanden: das überraschte Stöhnen des Arkebusiers, den de Roberval zur Seite gestoßen hatte, das schabende Geräusch, mit dem das Leder des Gewehrgurts über seinen Arm glitt, als er anlegte, und das metallische Klicken, als er den Hahn mit der Lunte spannte.
    Henri hatte ihr die Waffe einmal erklärt. Wie einfach - beinahe primitiv - und gleichzeitig tödlich sie war! Er hatte ihr auch geschildert, welche Handgriffe nötig waren, um sie abzufeuern - wie im Gefecht der geschulte Schütze vorbereitete Pulverpatronen aus Holz in den Lauf schob, um Ladezeit zu sparen, wie sorgfältig die brennende Lunte am gebogenen Hahn befestigt werden mußte, wie ein einfacher Druck am Abzug dann die Lunte in die Zündpfanne drückte, wo eine kleine Menge Pulver aufgetragen war, die wiederum den tödlichen Schuß auslöste. Und nun sah Marguerite, wie ihr Onkel den Unterarm auf der Reling aufstützte, um besser zielen zu können, wie er Henri anvisierte, der durchs kalte Wasser zog, und sie glaubte zu sehen, wie der Abzug sich bewegte. Sie vermeinte sogar zu hören, wie der Hahn mit metallischem Klacken die Lunte in die Pfanne preßte .
    Aber es passierte nichts.
    War die Arkebuse nicht geladen? Oder brannte die Lunte nicht?
    Marguerite sah, immer noch wie in verlangsamter Zeit, wie de Roberval die nutzlose Waffe mit einer wütenden Bewegung zur Seite schleuderte, und dann hörte sie ihn brüllen: »Dann schwimm doch, Verräter! Schwimm zu deiner Hure, sollen die Dämonen der Hölle euch doch beide holen!«
    Dann drehte er sich um und verschwand aus dem Blickfeld.
    Die Ruderer sahen Kapitän de Sauveterre an. Er seufzte und gab ihnen ein Zeichen zu warten, bis der Schwimmer sie erreicht hatte. Dann half er ihm ins Boot.
    Marguerite fiel in Ohnmacht.

 
II.
     
Die Nacht der Dämonen
     
    Als Marguerite erwachte, sah sie zunächst nur einen blaßblauen Himmel, vor dem

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