Die Insel der Dämonen
wie sie es früher immer getan hatte.
Das wäre eigentlich die Aufgabe von Henri, diesem Holzklotz, dachte sie. Aber der saß immer noch einige Meter entfernt auf seinem Stein und verbarg das Gesicht in den Händen.
Vielleicht schämt er sich, dachte Damienne und fand, er schämte sich zu Recht. Dennoch konnte es so nicht weitergehen. Sie mußte etwas unternehmen.
»Sag mal, bist du bald fertig?«
Marguerite hob den Kopf und sah sie verstört an.
»Was?«, fragte sie.
»Mit deiner Heulerei, meine ich. Die bringt uns doch nicht weiter. Vielleicht kümmerst du dich lieber mal um deinen Henri. Der ist ja ein richtiges Häuflein Elend, wie mir scheint.«
»Henri«, flüsterte Marguerite. Dann stand sie auf und lief zu ihm.
Damienne sah ihr hinterher. »Na, es geht doch. Gib ihr eine Aufgabe und sie vergißt ihren Kummer«, murmelte sie zu sich selbst.
Henri sah Marguerites Schatten vor sich auf dem Boden und hob den Kopf. Er stammelte ihren Namen und dann lagen sie sich in den Armen und weinten gemeinsam.
Geteiltes Leid ist halbes Leid, dachte Damienne und lächelte traurig.
Die beiden hatten viel zu teilen. Immer wieder nannten sie einander beim Namen, küßten und umarmten sich. Henri klagte sich selbst an und sagte, alles wäre seine Schuld, doch Marguerite stritt das ab und erklärte, daß allein sie die ganze Schuld träfe, was Henri nicht gelten lassen wollte. Schließlich sei er für all das Unglück verantwortlich, was wiederum Marguerite heftig bestritt. Es ging eine ganze Weile hin und her, immer unterbrochen von Umarmungen, Schluchzern und Küssen.
Damienne sah sich das eine Weile mit an, aber irgendwann wurde es ihr zu viel. Sie hatte eine ziemlich eindeutige Meinung dazu, wer an ihrer Lage schuld war; doch im Moment gab es Wichtigeres. Sie trat zu den beiden und räusperte sich. Dann räusperte sie sich noch einmal und erst jetzt wurde sie von Marguerite und Henri wahrgenommen.
»Ich störe euch ja nur sehr ungern, aber es wird bald Abend und es gibt viel zu tun. Wir müssen Feuerholz sammeln, essen und vor allem einen geschützten Platz für die Nacht suchen.«
»Ihr habt recht, Madame«, sagte Henri, »wir müssen ein Lager aufschlagen.«
»Aber vor allem anderen sollten wir Gott danken, daß wir noch leben! Laßt uns beten.«
Henri sah sie verwundert an: »Wir sind auf einer einsamen Insel ausgesetzt - ich weiß nicht, ob ich Gott dafür danken möchte.«
»Und die Büchse, die nicht losgegangen ist? Ihr hättet tot sein können! Also sei nicht undankbar! Und denk immer daran - wo die Not am größten ist, da ist Gott am nächsten.«
»Ich hoffe wirklich, Ihr habt recht, Madame«, sagte Henri, aber er wirkte nicht überzeugt.
Trotzdem knieten sie nieder und beteten, jeder für sich, stumm und allein mit den eigenen Gedanken und Wünschen. Schließlich gab Damienne das Zeichen zum Aufbruch: »Dann laßt uns mal die Gegend erkunden!«
»Wir sollten zusammenbleiben. Wer weiß, welche Gefahren hier auf uns lauern«, sagte Henri. Er stand auf und trat zu dem kleinen Haufen aus Vorräten und Waffen. Er nahm eine der Arkebusen, lud sie, dann eine zweite. Die erste hängte er sich am Riemen über die Schulter, die zweite hielt er schußbereit in der Armbeuge. Dann brachen sie auf.
Damienne wollte ins Landesinnere vordringen, aber Henri war dagegen.
»Wir sollten in der Nähe der Vorräte bleiben«, meinte er.
»Warum nehmen wir sie nicht gleich mit«, schlug Damienne vor.
»Sobald wir einen guten Lagerplatz gefunden haben, holen wir sie. So müssen wir uns nicht unnötig damit abschleppen.«
»Na, meinetwegen«, brummte Damienne. Es gefiel ihr gar nicht, daß der Leutnant das Kommando übernahm.
Langsam entfernten sie sich von der Landestelle. Die Bucht umzog ein schmaler Sandstrand, durchsetzt mit windzerzausten Soden von grauem Gras. Hinter der Flutkante wuchsen windgebeugte Sträucher und Büsche, die an manchen Stellen zu einem undurchdringlichen Dickicht verwoben waren. Nackte Felsen lagen dazwischen und der eine oder andere verkrüppelte Baum reckte seine bizarr geformten Aste in den Himmel. Das Gelände hob sich zu einem Hügel, der ihnen die Sicht auf den Rest der Insel versperrte.
Sie marschierten eine Weile bergan, denn sie wollten die ganze Insel überblicken, doch der Hang war schier endlos.
Weil das Buschwerk sich immer wieder in ihrer Kleidung verfing, kamen sie nur langsam voran.
»Achte auf dein Kleid, Marguerite«, sagte Damienne, »es ist das einzige, das du jetzt
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