Die Insel der Krieger
konnte die Insel nur mit dem Boot verlassen und genau das musste sein Ziel sein. Das Ufer, das zu Kreba hin zeigte, war viel weiter vom Tempel en t fernt als jenes, das in Richtung Eda lag. Sich in der Dunkelheit durch den Wald dorthin zu schlagen, war aussichtslos. Greon war sicher aus dem Wald herausgelaufen und ging am Ufer entlang, um zu seinem Boot zu gelangen. Das war ein weiter Weg, doch er hatte über zwei Stunden Vorsprung. Nalig rannte wie noch nie in seinem Leben. Hatte Greon Kijerta erst verlassen, würden sie ihn nicht wieder finden. Kaum dass Nalig eine Lichtung erreicht hatte, die groß genug war, verhalf er Merlin zur Verwandlung. Der Falke schoss über die Wälder Kijertas hinweg zu dem Ufer, das Kreba am nächsten war. Das Boot lag noch im Schilf. Gleich nachdem sie gelandet waren, verwandelte sich Merlin zurück. Schließlich sollte der goldene Schein Greon nicht warnen.
Im Tempel hatten sich derweil die erfolglosen Sucher eingefunden. »Keine Spur von Arkas«, teilte Aro mit, der als Letzter zu ihnen stieß. Zalari litt entsetzliche Qualen. Schon als Thorix ihn geweckt hatte, war ihm klar gewesen, dass etwas Schreckliches passiert war. Ilia hatte eine kleine Kartoffelkiste mit einem ihrer Nachthemden gepolstert und Nino hineingelegt. Sie hatte den Affen lieb gewonnen und sein Tod quälte sie beinahe so sehr wie der Gedanke daran, was Arkas zugest o ßen sein könnte. »Wo ist Nalig? « , wollte Stella wissen, als ihr auffiel, dass er fehlte. Alle blickten sich um. »Er kommt sicher auch bald«, vermutete Aro. »Nalig wollte den Wald in Richtung Eda durchsuchen. Er müsste längst zurück sein«, erwiderte Stella. »Womöglich hat er Arkas gefunden«, mutmaßte Zalari. »Und versucht nun, Greon zu finden«, führte Stella seinen Gedanken zu Ende.
Nalig verbarg sich hinter einem Felsen, von dem aus er das Boot gut im Blick hatte. Merlin hatte er in einen Baum geschickt, von dem aus er den Weg überblicken konnte, über den Greon herankommen würde. Der Junge hatte angenommen, sein Zorn würde sich legen, wenn er da saß und wartete. Doch im Gegenteil wuchs er immer mehr. Wenn Nalig seine Augen schloss, konnte er Arkas’ verdrehte Gestalt am Boden liegen sehen. Und der Gedanke machte ihn rasend, dass Greon, der in all der Zeit nie einen liebenswerten Wesenszug hatte erkennen lassen, hochmütig wie er war, einen so guten Freund, seinen eigenen Bruder, getötet hatte. Das Bild Greons, das Merlin ihm übe r mittelte, brachte ihn wieder zu Verstand. Tief hinter seinen Felsen geduckt, lugte Nalig hinüber zu der Stelle, an der er eine Bewegung in der Dunkelheit wahrnahm. Greon war außer Atem. Er musste den ganzen Weg gerannt sein. Mühsam widerstand Nalig dem Drang, sofort über ihn herzufallen. Er ließ Greon zum Boot laufen. Kaum fünf Schritte trennten die beiden Jungen. Dann, als Greon ihm den Rücken kehrte und begann, das Boot ins Wasser zu schieben, sprang Nalig aus seinem Versteck. Ehe Greon begriff, was geschah, warf er ihn zu Boden. Doch nicht umsonst hatte Greon sieben Jahre lang unter Aros strengem Blick trainiert. Noch während er fiel, versetzte er Nalig einen so kräftigen Kinnhaken, dass ihm die Zähne klapperten. Nalig spürte den Schmerz gar nicht. In seinem Zorn entwickelte er übermenschliche Kräfte, sodass er jegliche Gegenwehr Greons im Keim erstickte und kaum einen Augenblick später hatte er ihn übe r wältigt. Mit den Knien presste er Greon zu Boden und drückte den Dolch an seinen Hals. Greon ließ langsam die Hände sinken, mit d e nen er Naligs Arme gepackt hatte. Arkas’ Blut klebte noch an seinen Fingern. »Na los, worauf wartest du? « , fragte Greon herausfordernd. »Ist dir eigentlich gar nichts heilig? « , fauchte Nalig. »Deinen eigenen Bruder zu töten. Nur aus Neid und Eifersucht? « Greon sagte nichts. Er lag nur da und stierte Nalig an. »Er hat dich so bewundert, war der Einzige, der dich nicht für Abschaum gehalten hat – auch dann nicht, als du ihn wie Dreck behandelt hast. « Das Verlangen nach Vergeltung machte Nalig fast blind. Er spürte nichts als das Heft des Dolches, das er umklammerte und wollte nichts lieber, als Greons Kehle durchz u schneiden mit eben der Waffe, mit der dieser seinen Bruder getötet hatte. Er wollte spüren, wie Greons Körper unter ihm erschlaffte, wollte sehen, wie sein Blut den Boden tränkte. Doch irgendetwas hielt ihn zurück. Weder jetzt noch später konnte Nalig erklären, weshalb er diese einmalige Gelegenheit nicht
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