Die Insel der Krieger
deutlich näher und ließ sich nicht dem Unwetter zuschreiben. Zalari wusste, was das lang gezogene Heulen zu bedeuten hatte. Im Grunde hatte er keine Angst vor Wölfen. Für gewöhnlich waren sie friedlich und wer sie nicht in die Enge trieb, oder sein täglich Brot als Schäfer verdiente, brauchte sie nicht zu fürchten. Doch dass sie so nah waren, beunruhigte ihn ein wenig. In einem so kleinen Waldgebiet hatte er nicht mit Wölfen g e rechnet. Sollte er sein Lager verlassen und mit Kir weiter fliegen? Der Gedanke, mitten in das Gewitter zu geraten, ließ ihn zögern. Das Heulen erklang abermals. Zalari war nicht sicher, ob er es sich einbi l dete, doch er glaubte, dass es näher kam. Ein langes, tiefes Donne r grollen übertönte alles andere, doch das nächste Heulen, das Zalari vernahm, war keine zwanzig Schritte entfernt. Mit angehaltenem Atem wartete der Junge ab. Ein weiteres Donnergrollen, dann hörte er Zweige brechen. Etwas schlich um seinen Unterstand. Die Tritte j e doch waren zu schwerfällig für die eines Wolfes. Das Tier musste größer sein. Und es kam so zielstrebig näher, dass Zalari nicht an einen Zufall glaubte. Es hatte seine Witterung. Der Junge hörte ein Scharren und gleich darauf ein Schnuppern, unmittelbar hinter der Wand aus Ästen, die er aufgestellt hatte. Zalari zog sein Schwert. Kir konnte sich hier zwischen den Bäumen nicht verwandeln. Sollte das Wesen angre i fen, war es an ihm, sich zu verteidigen.
Nalig brachte vor Entsetzen keinen Laut heraus. »Kein schöner Anblick, was? « , meinte die Gestalt, die vor ihm stand. »Wollen doch mal sehen, wie du in 200 Jahren aussiehst. Aber dafür wird mich sicher niemand töten, um mein Gesicht zu bekommen. « Die kleine ve r schrumpelte Frau lachte ein raues, kehliges Lachen, das irgendwann in einem Hustenanfall erstickte. Es war jedenfalls nicht das Grauen, dem Nalig gegenüberstand. Doch der Anblick, den die Alte bot, war nicht weniger erschreckend. Irgendetwas hatte offenbar ihre Nase abgebi s sen und beide Augenhöhlen waren leer. Über eine hing noch das Lid. Eine Narbe zog sich quer über das entstellte Gesicht, vom Haaransatz bis zum Kinn. Ober- und Unterlippe waren durch die Verletzung gespalten und schlecht verheilt. Die alte Frau hatte sich schwer auf einen Stock gestützt und auf ihrer Schulter hockte eine grimmige Schleiereule. »Wer seid Ihr? « , fragte Nalig mit schriller Stimme, als er den ersten Schrecken überwunden hatte. Die Alte lachte auf. »Sag bloß, du hast noch nie von mir gehört. Diese reizende junge Kriegerin mit der schwarzen Katze wird dir doch sicher von mir erzählt haben. « Sie grinste und zeigte zwei Reihen fauler Zähne. »Kugara? « , fragte Nalig ungläubig. »Höchstpersönlich«, bestätigte die Alte. »Nun ja, das war einfach. Groß ist die Auswahl an Inselbewohnern ja nicht. Und sie wird stetig kleiner, nach allem, was ich gehört habe. « Nalig wusste nicht recht, was er von dieser Begegnung halten sollte. »Schau nicht so misstrauisch«, tadelte ihn Kugara. »Ich werde dich sicher nicht fressen. Aber du siehst aus, als könntest du einen Happen vertragen. Komm mit, ich mach dir etwas, zur Entschädigung dafür, dass ich dich e r schreckt habe. Außerdem ist es zurzeit ohnehin besser, nicht alleine im Wald unterwegs zu sein. « Die Frau wandte sich ab und verschwand zwischen den Bäumen. Nalig folgte ihr, obgleich er nicht so recht wusste weshalb, und wunderte sich, wie jemand, der so alt war und keine Augen hatte, so flink durch den Wald laufen konnte. Die Schle i ereule auf ihrer Schulter drehte den Kopf nach Eulenart komplett herum und beobachtete Nalig, während er hinter Kugara herlief. Me r lin klackte missbilligend mit dem Schnabel. Er hatte nicht viel für den Nachtjäger übrig, wie er das Tier in der Bildersprache nannte. Die alte Frau führte sie zu einer kleinen Hütte. Sie war winzig und schmiegte sich genau in den schmalen Zwischenraum zweier riesiger Baumstä m me. Doch anders als Stellas Behausung war sie aus richtigen Brettern gefertigt und hatte eine Tür. Vor der Hütte war ein kleiner Kräuterga r ten angelegt, in dem drei Hühner aufgescheucht umherrannten. In einem Fass neben der Hütte sammelte Kugara Regenwasser. »Hinein in die gute Stube«, rief sie und stieß die Tür auf. Nalig musste sich ducken, um sich nicht am Türrahmen den Kopf zu stoßen. Drinnen war es dunkel. Es gab keine Fenster und so fiel das einzige Licht durch die schmalen Spalten zwischen den Brettern.
Weitere Kostenlose Bücher