Die Insel der Krieger
Blumenmeer, um den Stein näher zu begutachten, in dem der Schafbock verschwunden war. Er war weiß und ein verschlungenes Muster zierte ihn. In Größe und Form erinnerte er an einen Grabstein. Doch es stand nur ein einziges Wort darauf: Kijerta. Nalig berührte den Stein und spürte, wie eine unglaubliche Kraft durch seine Finger in ihn hineinfloss, sein Inneres mit Wärme füllte und ihm das Gefühl gab, unbezwingbar zu sein. Einer plötzlichen Eingebung folgend, legte Nalig seinen noch immer erschlafften Begleiter auf den Stein und kaum einen Lidschlag später wurde der Vogel wieder munter. Nalig beschloss, den Rest der Nacht auf dieser Lichtung zu verbringen. Er ahnte, dass das Grauen diesen Ort mied. Die Helligkeit und die immense Kraft, die dem Stein en t stammte, schwächten seine Macht. So schlief Nalig ohne schlechte Träume oder unangenehme Begegnungen.
Am nächsten Morgen dann, als es galt, die Lichtung zu verlassen, dachte er ernsthaft darüber nach, seine Reise abzubrechen. Wenn er zurückging, konnte er bis zum Mittag beim Tempel sein. Setzte er den Weg fort, würde er noch ein paar Nächte alleine im Wald verbringen müssen. Das Grauen wartete sicher nur darauf, dass er sich wieder hineinwagte. War die Antwort des fragwürdigen Orakels diese Gefahr wirklich wert? Doch was sollte er tun, wenn er zurück im Tempel war? Das Grauen wurde stärker und wahrscheinlich war dies die letzte G e legenheit, das Orakel zu befragen. Und womöglich erhielt er doch einen Hinweis, wie das Grauen zu töten war. »Was meinst du, Merlin? Laufen wir wie zwei verängstigte Kaninchen zurück in unseren Bau? Oder gehen wir weiter? « Merlin fühlte sich noch durch die Kraft des Steins gestärkt und wollte den kränkenden Vergleich mit einem Kani n chen nicht auf sich sitzenlassen. Er war dafür, den Weg fortzusetzen. Zunächst galt es, die richtige Richtun g wiederzufinden. Bei seiner kopflosen Flucht vor dem Grauen war Nalig ein wenig zu weit nach Westen geraten. Merlin flog hoch über die Bäume und sandte Nalig ein Bild der Turmspitze des südlichen Haupthauses, die ihnen als Orientierung diente. »Wir haben noch eine weite Strecke vor uns. Aber wenigstens sind wir nicht allzu weit vom Weg abgekommen«, stellte der Junge fest und schulterte sein Gepäck. Auf der Lichtung, von einer magischen Kraft geschützt, war der Entschluss weiterzugehen schnell gefasst. Doch Nalig war noch nicht weit in den Wald hineingegangen, als er schon wieder die unheimliche Anwesenheit des Grauens spürte. Immer wieder gelangte er zu Stellen, an denen Bäume zu Staub zerfa l len waren und kleine Tiere den Tod gefunden hatten. Nalig mühte sich, nicht darauf zu achten. Doch er blieb immer wieder stehen, wenn er ein Geräusch im Unterholz wahrnahm. Folgte ihm etwas im Ve r borgenen? Er fühlte sich beobachtet. Nalig beschleunigte seine Schri t te. Hinter jedem Vogel, jeder Maus konnte sich das Grauen verbergen. Der Wald war zum Feind geworden. Und Nalig wusste, dass er ihm nicht davonlaufen konnte. Auch Merlins Kampfgeist schien verflogen. Der Falke saß aufgeplustert auf Naligs Schulter und drehte ängstlich den Kopf in alle Richtungen. Es wurde zunehmend kälter. Plötzlich spürte Nalig, wie etwas seinen Fuß packte. Erschrocken schrie er auf und hielt sich an einem Baumstamm fest, um nicht zu stürzen. Als Nalig an sich herabblickte, erkannte er, dass er nur mit dem Schuh unter einer Baumwurzel hängen geblieben war. Mühsam zwang er sich, tief durchzuatmen und wartete darauf, dass sich sein wild klopfendes Herz beruhigte, während er seinen Fuß von der Wurzel befreite. Ger a de als er es geschafft hatte, kreischte Merlin auf. Nalig fuhr herum und sah kaum eine Armlänge von sich entfernt eine Gestalt stehen. Mit zugeschnürter Kehle blickte er in das Gesicht, das keines war.
Zalari musterte die grobschlächtigen Männer der Reihe nach. »We l chem Gruselkabinett seid ihr denn entflohen? « , konnte er sich nicht verkneifen, zu fragen. Die Männer tauschten verwunderte Blicke. »Ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, dass du Wegzoll entrichtet hast«, stellte einer von ihnen fest, dessen Kopf zu klein für den Rest des Körpers wirkte. »Nimm es nicht so schwer«, erwiderte Zalari. »Wir werden alle nicht jünger. Und Denken ist ohnehin nicht jedermanns Sache. « Der Mann, der gesprochen hatte, schien zu übe r legen, wie Zalari das gemeint haben könnte. Dass ein schmächtiger Junge, der noch dazu alleine und offenbar
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