Die Insel der Krieger
In der Hütte herrschte völlige Unordnung. Es gab ein kleines Bett mit löchrigen Decken und eine Feuerstelle, über der ein Kessel hing. Kleidung und Feuerholz lagen überall verteilt. An der Decke hingen Kräuter zum Trocknen und auch allerlei Hühnerinnereien, was keinen sehr schönen Anblick bot. »Setz dich«, forderte Kugara den Jungen auf. Da das Bett die einzige Sitzgelegenheit bot, ließ sich Nalig dort nieder. Die Schlafstelle war noch viel unbequemer als sie aussah und das Holz ächzte beden k lich, als er darauf Platz nahm. Der Junge ließ den Blick schweifen und ihm fielen einige Porträts auf, die an den Wänden der Hütte hingen. Es war zu dunkel, um Einzelheiten auszumachen, doch eines der Porträts zeigte Stella. Nur, dass sie auf diesem nicht streng und erhaben auf den Betrachter herabblickte wie auf jenem, das in der Halle der Krieger hing, sondern das Lächeln aufgesetzt hatte, das Nalig vor einiger Zeit völlig den Verstand geraubt hatte. »Sie ist ein hübsches Ding, nicht wahr? « , fragte Kugara und Nalig zuckte zusammen. Die alte Frau hatte ihm den Rücken gekehrt, und da sie nichts sah, konnte sie doch gar nicht wissen, wohin er schaute. »Sie ist seit ein paar Tagen verschwu n den«, meinte er ausweichend. »Es betrübt mich, das zu hören. Sie war die Einzige, die mich je hier besucht hat. « »Sie hat mir erzählt, dass sie hier war, damit Ihr ein Porträt von ihr anfertigt«, erinnerte sich Nalig. »Sie war nicht nur dieses eine Mal hier. Wir haben uns gut verstanden. Zwei Frauen, die alleine im Wald leben. « Sie lachte und machte sich an der Feuerstelle zu schaffen. »Ich möchte Euch nicht zu nahe treten. Aber wie könnt Ihr Bilder malen, wenn Ihr nichts seht? « Die alte Frau goss Wasser in den Kessel und warf ein paar Kräuter hinein. »Ich habe mein Augenlicht vor sehr langer Zeit verloren. Damals dachte ich, das wäre mein Ende. Doch inzwischen haben meine Hübsche und ich die Bildersprache derart gemeistert, dass ich durch ihre Augen sehen kann. « Kugara zog unter einem Kleiderhaufen eine tote Maus hervor und gab sie der Eule auf ihrer Schulter. Nalig war beeindruckt und fragte sich, wie es sich anfühlte, die Welt durch die Augen einer Eule zu sehen. »Ich nehme an, du bist nicht hier, damit ich ein Porträt von dir malen kann. Auch wenn uns das auf jeden Fall noch bevorsteht. Darf ich also fragen, was dich hinaus in die Wälder treibt? « , wollte die alte Frau wissen. »Ich bin aufgebrochen, um das Orakel zu befragen«, erklärte Nalig. »Sieh an, das Orakel. Dann müssen dir wirklich wichtige Fragen auf den Nägeln brennen. « »Allerdings. Ich weiß nicht, wie viel Ihr von dem mitbekommen habt, was sich in letzter Zeit auf Kijerta zugetragen hat. Aber wir Krieger stecken in ernsthaften Schwierigke i ten. « »Es sind nicht nur die Krieger der Insel, die in Schwierigkeiten stecken, seit das Grauen wieder durch die Wälder streift. « Nalig hob den Kopf. »Wieder? Ihr wisst, dass es schon einmal auf Kijerta war? « »Ich weiß gut darüber Bescheid, was auf dieser Insel geschieht. Sowohl heute als auch in den Zeiten der Götter und ich weiß vieles von dem, was Kaya seit Jahrhunderten totzuschweigen versucht. Was ich mich jedoch frage, ist, was das Grauen dieses Mal auf die Insel zurückg e bracht hat. « Kugara begann, eine Vielzahl von Wurzeln und seltsamen Pflanzen in den Kessel zu schneiden. »Vor Kurzem hat Greon seinen Zwillingsbruder Arkas getötet, als er erfahren hat, dass er an seiner statt Krieger seines Königreichs werden soll. Kaya glaubt, dass das der Grund für die Rückkehr des Grauens sein könnte. « Die Alte schüttelte den Kopf. »Dass wir einfach nicht aus unserer Geschichte lernen. Da sind die Götter wie die Menschen«, meinte sie verdrießlich. »Was wollt Ihr damit sagen? «
Zalari wartete so angespannt auf einen Angriff, dass er erst bemer k te, dass er seinen Atem anhielt, als ihm schwindelig wurde. Das Wesen schnupperte noch immer auf der anderen Seite der Äste. Ein Überfall aus dem Hinterhalt wäre Zalari lieber gewesen als das Gefühl, in der Falle zu sitzen. Kir teilte sein Missbehagen nicht. Sie machte ihm deu t lich, dass er nichts zu befürchten hatte. Der Drache war empfänglicher für die Verzweiflung eines Tieres, das in Sorge um seinen Gefährten war, als Zalari. Der Junge war nicht überzeugt. Ihr Belagerer winselte leise und Kir schlüpfte zwischen den Ästen hindurch. »Warte! Kir! « , flüsterte Zalari, doch seine Begleiterin
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