Die Insel der Krieger
und versuchte die schmerzlichen Erinnerungen auszublenden. Dann flammte ein anderes Bild zwischen den Schul d zuweisungen des Grauens auf. Merlin musste es geschafft haben, von wo auch immer er war, seinem Begleiter einen kurzen Hinweis zu geben. Es war nur ein winziger Augenblick, den der Falke das Bild aufrechterhalten konnte. Doch Nalig erkannte sofort, was er ihm zei g te. Es war der Ort, an dem der Vogel von dem Luchs angegriffen worden war, der Ort, an dem die Goldzedern das Licht des Waldes veränderten. Nalig rannte los. Er war weit entfernt von der Stelle. Sie lag vom Tempel aus gesehen beinahe in der entgegengesetzten Ric h tung. Unablässig feuerte das Grauen Visionen von Naligs Versagen auf ihn ab. Halb blind durch die Attacke, setzte Nalig seinen Weg dennoch fort. Mühevoll rief er sich als Gegenwehr all jene Momente in Erinn e rung, in denen er sich bewiesen hatte: Als er beschlossen hatte, für das Wohl seines Königreichs seine Heimat zu verlassen, als er Rotha vor den Räubern gerettet hatte, als er den verletzten Arkas mit letzter Kraft zu Miras Hütte geschleppt hatte. Schließlich gelang es Nalig, einen Wall um seine eigenen Gedanken zu errichten, der die Vorwürfe des Grauens nicht passieren ließ. Sofort wurde sein Verstand klarer und er hatte Gelegenheit nachzudenken. Es war ihm gelungen, seine Illusion zu brechen, als er sich an sein ungeborenes Kind erinnert hatte und offenbar schwächten Gedanken und Gefühle der Glückseligkeit das Grauen genauso, wie finstere Empfindungen es stärkten. Doch wie konnte Nalig dies als Waffe einsetzen? Ein Schatten tauchte zwischen den Bäumen auf und brachte Nalig dazu, so abrupt stehen zu bleiben, dass er beinahe vornüberfiel. Der Schatten verschwand im Wald und Nalig erkannte ihn gerade noch als eine große schwarze Katze. »Aila«, rief er überrascht und eilte hinter dem Tier her. Woher kam Stellas Begleiterin so plötzlich? Nalig sprang über Wurzeln und hastete durch Gestrüpp, um die Katze einzuholen. »Aila«, rief er noch einmal, als das Tier vor ihm auftauchte. Die Katze blieb stehen und wandte sich um. Sie sah ziemlich verwahrlost aus. Ihr Fell war zerfressen und struppig, nicht glänzend wie sonst. Sie war abgemagert und ging gebeugt und direkt neben der Schnauze zog sich ein tiefer Schnitt bis hinauf zum Ohr. Dennoch freute Nalig sich, das Tier zu sehen wie nie zuvor. Die Freude schien jedoch sehr einseitig. Als der Junge auf die schwarze Katze zurannte, legte sie die Ohren an und fauchte unmissverstän d lich. Nalig blieb stehen. »Ich bin es«, erklärte er und hob beschwicht i gend die Hände. »Ich tu dir nichts. « Aila beäugte ihn misstrauisch und bedachte ihn bei jedem Schritt, den er näher kam, mit einem Fauchen. »Komm schon, wir kennen uns doch«, beschwichtigte Nalig das Tier. »Ich bin der, dem deine Begleiterin so übel mitgespielt hat. Du hast sicher viel durchgemacht, aber jetzt müssen wir Stella finden. Wo ist sie? « Nalig hatte keine Ahnung, ob Aila ihn verstand. Sie schien viel zu verwirrt und ängstlich, um ihn überhaupt zu erkennen, doch bei der Erwähnung Stellas sah sie ihn mit großen Augen an und stellte das Fauchen ein. »Gut so«, bestärkte Nalig sie. »Geh schon, zeig mir, wo sie ist. « Tatsächlich wandte die große Katze sich um und ließ es zu, dass Nalig dicht hinter ihr blieb. Das Grauen hatte es derweil aufgeg e ben, ihn mit schmerzhaften Erinnerungen zu quälen. Endlich ein wenig zuversichtlicher, folgte der Junge Stellas Begleiterin. Wenn sie am Leben war, dann war es Stella auch und wenn Aila ihn zu ihr füh r te, dann konnte er sie vielleicht in Sicherheit bringen, ehe er den Kampf gegen das Grauen aufnahm. Dennoch konnte Nalig nicht anders, als sich zu wundern, wo Stella stecken mochte und was sie dort festhielt. Diesen Teil des Waldes hatten die Tempelbewohner mehr als einmal durchsucht. Sie konnte nicht die ganze Zeit schon hier sein. Sie gelangten zu der Stelle, an der Nalig seine Waffe erhalten hatte. Der Schein der Goldzedern wirkte schwächer als sonst. Er verlieh dem Wald einen eher zwielichtigen Eindruck. Aila ging um den Stamm einer dicken Eiche herum und als Nalig ihr folgte, entdeckte er etwas Sonderbares. Zunächst dachte er, seine Augen spielten ihm einen Streich. Eine ovale Fläche hing, fast wie ein rahmenloser Spiegel und von der Höhe einer Tür, dicht über dem Boden. Doch war sie nicht greifbar und hatte keine Substanz. Sie bestand aus bloßer Luft. Der Anblick erinnerte Nalig
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