Die Insel der Krieger
den Nebel mit heftigen Flügelschlägen davontrieb. Ein erbitterter Kampf entbrannte. Das Grauen wechselte in rascher Folge seine Gestalt, erschien mal als Kaya, dann wieder als Arkas oder Ilia und schließlich als Nalig selbst. Versuchte es, ihn zu verspotten? Was immer Nalig auch unternahm, das Grauen verlor bei jedem seiner Angriffe einfach seine Form, um sich danach wieder als Ilia oder Arkas zu materialisieren. Nalig stolpe r te schwer atmend zurück, als das Grauen ihm nahekam. Langsam, aber sicher gewann es die Oberhand. Wie sollte er gegen etwas kämpfen, das keinen Körper hatte? Nalig wurde müde und der finsteren Macht gelang es immer häufiger, ihn zu berühren. Inzwischen war das Gra u en in der Lage, seinen menschlichen Erscheinungsformen einen u n förmigen Spalt über dem Kinn und eine deutliche Erhebung darüber zu verleihen. Wo die Augen hätten sein müssen, wölbte sich die Haut leicht nach innen. Es gewann an Stärke und es war an der Zeit, dass sich der Junge etwas einfallen ließ. Leider wuchs mit seiner Verzwei f lung zusehends die Macht des Grauens. Was sollte er tun? Was hatte Marik getan? Wenn er jetzt versagte, war das der Tod für Stella und das Grauen hatte freie Hand. Die Bürde dieser Verantwortung lastete schwer auf Nalig. Ungeschickt wich er einem Angriff aus und ein kleiner Fetzen des schwarzen Nebels drang in seine Brust. Nalig kon n te nicht mehr atmen, ganz so, als wäre er in eiskaltes Wasser gespru n gen. Er ging zu Boden und hielt mühsam seine Waffe fest. Merlin griff ihn mit dem Schnabel und zog ihn aus der Reichweite des Grauens. Irgendeine Möglichkeit musste es doch geben, der Lage Herr zu we r den. Nalig dachte an Ilia und das Kind, das sie bald zur Welt bringen würde. Das Grauen setzte nach. Nalig wollte, dass die Welt, in der seine Familie lebte, sicher war und nicht, dass sie in dem Chaos und der Finsternis versank, die sich das Grauen schuf. Obgleich Nalig seinen Stab viel zu spät hob, wich das Grauen unvermittelt zurück. Es waberte formlos umher, ehe es ihm gelang, wieder als Arkas zu e r scheinen, wobei es den Jungen weniger glaubhaft nachahmte als es zuvor der Fall gewesen war. Nalig runzelte die Stirn. Schon einmal hatte der Gedanke an jene, die ihm am nächsten waren, die Macht des Grauens zerschlagen. Was hatte Kaya gesagt? Seine Hingabe und Au f opferung für seine Freunde und all jene, die er liebte, waren seine stärkste Waffe im Kampf gegen das Grauen. Sie hatte Recht. Der Gedanke an die Menschen, die er so gerne retten wollte, schmälerte die Kraft des Grauens. Auch der Urvater der Götter hatte den Willen gehabt, Leben zu retten. Erst deshalb war er auf die Erde gekommen und Marik war es nicht anders ergangen. Er hatte Zari retten wollen und auch Kaya und mit ihnen die Menschen, die auf dem Festland lebten. Das Grauen verharrte still, als wäre es verunsichert. Er war der Antwort sehr nahe, das wusste er. Was hatten Marik und der Urvater der Götter getan, dass es genügte, um das Grauen zu bannen? Hätte doch wenigstens einer der beiden die Möglichkeit gehabt, von seinem Kampf zu berichten, doch da sie beide gestorben waren, musste Nalig alleine dahinterkommen. Und dann endlich begriff er. Dass die Götter gestorben waren, war nicht die Folge des harten Kampfes gewesen. Sondern ihre Waffe, um die Macht des Grauens zu brechen. Plötzlich ergab alles Sinn. Der hinterhältige Brudermord war der Grund dafür, dass das Grauen zurückgekehrt war. Ein Verbrechen, das so sinnlos war und nur das Ziel hatte zu zerstören, war das genaue Gegenteil der Aufopferung Mariks, der es in Kauf genommen hatte, selbst zu ste r ben, aus keinem anderen Grund als dem, dass andere dafür am Leben blieben. Eine derart selbstlose Tat war ohne jeden Zweifel mächtig genug, um eine Existenz auszulöschen, die nur aus Hass bestand und von Bosheit genährt wurde. Genau das war vor 800 Jahren und nach der Erschaffung Kijertas geschehen. Der Urvater der Götter und auch Marik hatten erkannt, dass zu sterben ihre einzige Möglichkeit war, den Kampf zu gewinnen. Sie waren nicht ungewollt getötet worden. Sie hatten sich bewusst dazu entschieden und die Tatsache akzeptiert. Eben deshalb hatten weder Kijerta noch Zari je erfahren, auf welche Weise sie tatsächlich gerettet wurden. Nalig betrachtete Stella, die noch immer am Boden lag. Er dachte an Ilia, seinen Vater und all die Me n schen auf dem Festland, die wie Rotha und seine Mutter nichts weiter wollten als in Frieden zu leben und
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