Die Insel der Krieger
warte. Du kannst ja nicht lesen. « »Ich glaube, das reicht jetzt«, beendete Hato den Streit mit einer Schärfe, die man ihm nicht zug e traut hätte. Arkas legte Nalig sachte eine Hand auf den Arm. Nalig hatte die Hände so fest zu Fäusten geballt, dass sich seine Fingernägel ins eigene Fleisch gruben. Vor seinen drei Mitschülern und seinem Lehrer von einem Mädchen auf diese Weise gedemütigt zu werden, machte ihn so wütend, dass er große Lust hatte, auf sie loszugehen. Einzig Aila, die mit wachsam erhobenem Kopf neben ihr lag und das Wissen um ihre scharfen Zähne, hielten ihn davon ab.
»Warum tut sie das? « , tobte Nalig kurz nach der Geschichtsstunde oben in seinem Zimmer. Arkas saß auf seinem Bett und tat sein Mö g lichstes, ihn zu beschwichtigen. »Du solltest nicht auf das hören, was sie sagt. « »Aber sie hat sich über mich lustig gemacht, über mein Dorf, mein Königreich. « »Ja, aber doch nur, weil sie weiß, dass es dich ä r gert. « »Was hat sie überhaupt gegen mich? « , schimpfte Nalig weiter und stampfte wütend auf und ab. »Naja«, meinte Arkas und zog nac h denklich die Augenbrauen zusammen. »Soweit ich weiß, wurde der letzte Krieger aus Eda im Streit von Syris Krieger getötet. Der Krieger wurde damals von Kijerta verbannt und an seiner Stelle kam Stella auf die Insel. Allerdings war es wohl schwierig, einen Nachfolger für Eda zu finden. Deshalb musste Stella beide Königreiche schützen, da es schließlich ihr Vorgänger war, der an der misslichen Lage die Schuld trug. « Nalig blieb stehen und schaute Arkas stirnrunzelnd an. »Aber dann sollte sie sich doch darüber freuen, dass ich jetzt hier bin. Dann hat sie doch nur noch die Hälfte der Arbeit. « »Tja, stimmt schon«, entgegnete Arkas schulterzuckend. »Jedenfalls hat sie keinen Grund, mich ständig lächerlich zu machen. Schon gar nicht, wenn andere dabei sind. « »Darüber solltest du dir keine Gedanken machen. Ich weiß, dass Stella ein Biest ist und Thorix und mein Bruder interessi e ren sich ohnehin nur für sich selbst. « »Aber sie verhöhnt nicht nur mich, sondern auch alles, woran ich glaube. Und ich kann ihr nicht einmal widersprechen. « »Moment«, unterbrach ihn Arkas. »Bist du jetzt wütend auf Stella, weil sie dich beleidigt hat, oder auf dich, weil du viel weniger über dein Königreich weißt als sie? « »Beides«, gab Nalig zä h neknirschend zu. »Aber dagegen könntest du etwas unternehmen. Lies das Buch, das Hato dir gegeben hat, das Meiste, was du wissen solltest steht darin. Und dann hat Stella schon mal einen Grund weniger, dich aufzuziehen. « Nalig musterte lustlos das dicke in Leder gebundene Buch auf seinem Nachttisch. »Ich will noch Zalari besuchen. Kommst du mit? « , fragte Arkas und erhob sich. »Nein, heute nicht«, lehnte Nalig ab und ließ sich auf sein Bett fallen. Nino hüpfte kurz auf seine Brust und kniff ihm in die Nase, ehe er zu Arkas hopste und sich an sein Bein klammerte, um nicht zurückgelassen zu werden. Nalig seuf z te tief, als sich die Tür hinter den beiden schloss. Er nahm das schwere Buch zur Hand und blätterte durch die Seiten. Die winzigen Schrif t zeichen tanzten vor seinen Augen und ergaben keinerlei Sinn für ihn. Hier und da fand sich eine Abbildung, doch keine der Gebäude oder Personen kamen ihm bekannt vor. Als sein Falke durch das offene Fenster hereinsegelte, schrak Nalig kurz zusammen. Der Vogel war draußen auf der Jagd gewesen und flatterte nun mit einer erbeuteten Ratte auf einen der Bettpfosten und begann, das Tier zu zerpflücken, wobei einige Fetzen auch in Naligs Bett landeten. »Kannst du das nicht draußen machen«, brummte Nalig und scheuchte das Tier auf die Vorhangstange.
In den nächsten beiden Wochen hatte Nalig kaum mehr Erfolg als an diesem Tag. Die Geschichtsstunden waren eine regelrechte Qual. Glücklicherweise fanden sie nur an jedem zweiten Tag statt. Doch an den übrigen Tagen verbrachte Hato nach dem Mittagessen viele Stu n den damit, ihm das Lesen beizubringen. Nalig fand selten die nötige Ruhe für diese Lektionen. Er konnte mit den Buchstaben, die Hato ihm aufschrieb, nichts anfangen. Er war es gewohnt, schwerer körpe r licher Arbeit nachzugehen und fand es weit ermüdender, untätig daz u sitzen und aufzunehmen, was Hato ihm sagte. Auch sah er den Sinn dieser Übung nicht. Schließlich würde er sein Königreich mit Schild und Schwert verteidigen und nicht mit einer dieser zahllosen Buchse i ten. Arkas hatte begonnen,
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