Die Insel der Krieger
den. « »Das ist mir schon klar. « »Es ist normal, Angst zu haben. « »Aber ich habe keine Angst. Ich hätte jeden dieser Männer überwältigen können, wenn ich es darauf angelegt hätte. « »Aber was ist dann dein Problem? « »Genau das ist das Problem: Scharenweise Männer niede r zumetzeln ist nicht der Grund, weshalb ich hier bin. « »Das ist richtig. Aber du bist hier, um zu verhindern, dass diese Männer die Bewohner der Dörfer und Städte Edas niedermetzeln. Und genau das haben wir getan. « Nalig wandte den Blick zur Decke. »Es ist trotzdem nicht richtig. « Er sah wieder die Männer vor sich, die Stella niedergestreckt hatte, die Angst in ihren Augen und die Gewissheit, gleich zu sterben. Und er kannte nicht einmal ihre Namen. Stella drückte seine Hand fester. »Nalig«, meinte sie eindringlich. »Wir haben das heute nicht zu unserem Vergnügen gemacht. Nicht wir waren diejenigen, die ein schutzloses Dorf überfallen wollten. Hätte einer dieser Männer die Gelegenheit gehabt, dir den Schädel zu spalten, dann hätte er es getan. Ohne es zu bedauern. Wenn du nicht tötest, dann wirst du getötet. Als diese Leute beschlossen haben, andere zu bestehlen, haben sie auch das Risiko auf sich genommen, dabei umzukommen. « Nalig hätte Stella noch vor wenigen Stunden in allen Punkten Recht gegeben. Doch da hatte er auch noch nicht gesehen, was er jetzt gesehen hatte. Er hatte sich die Bedrohung Edas immer als ein namenloses Wesen vorgestellt, das von Grund auf böse war. Aber hier ging es um das Leben von Menschen, die womöglich erst die Umstände zu dem g e macht hatten, was sie heute waren. »Warum interessiert dich übe r haupt, was mit mir los ist? « , wollte Nalig wissen. »Es ist wichtig, dass wir alle unser Bestes geben und wenn einer von uns das aus irgende i nem Grund nicht kann, dann schwächt das alle. « »Aber es ist nicht deine Aufgabe, für meine Motivation zu sorgen. « Stella kraulte die große Katze, die sich zu ihren Füßen ausgestreckt hatte, am Kinn. »Das stimmt. Aber ich halte dich für weit ehrenhafter als die meisten anderen Krieger dieser Insel und du hast deine Sache bisher so ausg e sprochen gut gemacht, dass ich ungern mit ansehen würde, wie dich unangebrachte Zweifel vom Weg abbringen. « Nun wurde Nalig die Sache unheimlich. »Ich dachte, du kannst mich nicht leiden und nichts, was ich tue, ist dir gut genug. « Ein wehmütiger, fast trauriger Ausdruck trat in Stellas Gesicht. »Ich habe nie die Anerkennung bekommen, die ich meiner Meinung nach verdiene. Dass alle so überzeugt von dir waren, obgleich du bei deiner Ankunft noch überhaupt nichts begri f fen hattest, hat mich einfach wütend gemacht. Aber die Schuld an meiner Unzufriedenheit trägst nicht du. Und meinen Unmut an dir auszulassen, war nicht richtig. « Obwohl Stella diese Offenheit sichtlich schwerfiel, hatte Nalig nie so große Achtung vor ihr gehabt wie in diesem Moment. »Dir das Leben schwer zu machen, hat es mir leichter gemacht, mich mit meinem eigenen abzufinden. Zumindest dachte ich das. Aber letztlich zeigt sich wahre Größe nicht darin, von allen b e wundert zu werden, sondern darin, den eigenen Groll zu überwinden. Du hast in der Tat Großartiges geleistet, seit du hier bist und ich möchte dich bitten, all die Gemeinheiten zu entschuldigen. « Nalig war, als sehe er Stella zum ersten Mal wirklich. Wie sie hier vor ihm saß, war sie nicht im Entferntesten die unnahbare Lehrerin, deren Hohn er so sehr fürchtete, sondern eine bemerkenswerte junge Kriegerin, die mit ebenso vielen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte wie er selbst. »Dass du es hier so schwer hast, tut mir wirklich leid. Ich hatte ja keine Ahnung, wie alleine du bist. « »Bis du eines Tages im Wald herumg e schlichen bist und mich beim Baden bespitzelt hast«, ergänzte Stella und es war das erste Mal, dass Nalig sie lächeln sah. »Ich wusste, dass ich das eines Tages noch zu hören bekomme«, meinte er beschämt. »Was hältst du davon, die ewige Feindschaft zwischen Eda und Syri hier und jetzt beizulegen? « , fragte das Mädchen und streckte die Hand aus. Nalig reichte Stella die seine. »Das ist eine ausgezeichnete Idee. « »Welch ein bedeutender Augenblick. Und niemand ist hier, um ihn zu würdigen«, scherzte Stella. »Fürs Erste genügt es, wenn wir beide das tun. « Nalig ließ ihre Hand wieder los. »Das solltest du Mira zeigen«, riet sie ihm und deutete auf das Tuch um seine Finger, das bereits Blutflecken aufwies.
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