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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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darum werde ich dich mit den bemerkenswertesten
letzten Minuten beehren, die sich die Menschheit vorstellen kann .« Das war keine Muschelkälte. Einen Augenblick lang störte
ein Zucken die vollkommenen Grübchen, dann machte Li die Katze auf dem Absatz
kehrt und marschierte hinaus. Der Kreis der Soldaten schloß sich um uns, und
Sekunden später waren wir an zwei schwere Pfosten in der Mitte einer runden
Zelle gekettet. Die Soldaten stampften hinaus, schlugen die Eisentür krachend
ins Schloß. Sie hatten die Lampe mitgenommen, und undurchdringliche Dunkelheit
umfing uns jetzt. Ich lauschte auf die hämmernden Schläge meines Herzens, dann
auf das langsame Tropfen des Wassers von den modrigen, flechtenbewachsenen
Steinmauern. »Teufel noch mal«, brachte Meister Li endlich heraus. Seine Stimme
klang ein wenig fassungslos. »In meinen kühnsten Träumen hätte ich nicht
anzunehmen gewagt, daß wir so ein Glück haben würden. Soll das irgendein Trick
sein ?«
    Was sollte ich darauf
sagen? Ich bemühte mich, meine Zunge vom Gaumen zu lösen, und das konnte noch
Tage dauern. »Ich dachte, er würde uns zumindest mit den Füßen an der Decke
aufhängen, obwohl er gute Gründe hat, den Höhepunkt nicht zu verderben, indem
er uns die Schnüre um die Eier wickelt«, erklärte Meister Li. »Weißt du, Ochse,
ich habe diesen Kerl unterschätzt. Ich dachte, nur ein Künstler könnte
begreifen, daß die wirksamste Folter keine ist, da der Schmerz seine eigene
Welt erschafft, in der weitere Überlegungen unmöglich sind. Viel größere Qualen
erzeugen die Gedanken, die Phantasien - die Vorstellung, die mit jedem Tropfen
von dem feuchten Gemäuer immer wildere Blüten treibt; und wenn dann die
grauenvolle Wirklichkeit endlich in Erscheinung tritt und viel schlimmer ist,
als es sich die Phantasie ausmalen kann - ah, das ist eine wahre
Meisterleistung! Ja, ich habe Li die Katze aufs ärgste unterschätzt, und ich
hoffe, daß mir das nicht noch einmal passiert .«
    Noch einmal? Was meinte er
mit noch einmal? Wenn er auf irgendeine dürftige buddhistische Vorstellung von
einem späteren Leben als Moskito anspielte, war ich nicht daran interessiert.
Sehr wohl interessierte mich dagegen, welches Schicksal noch schlimmer sein
konnte, als an den Eiern aufgehängt zu werden. Was um alles in der Welt hatte
der Eunuch mit uns im Sinn? Ich mußte zugeben, daß Meister Li mit seiner
Bemerkung über die Raffinesse der Folter ins Schwarze getroffen hatte, als ich
merkte, daß es, meinem Pulsschlag nach zu urteilen, sechshundertsechzehn
Schläge dauerte, bis ich mit meinem Daumen zu den drei Zoll entfernten
Handfessein gelangt war. Ich hatte das Gefühl, die Wassertropfen in Abständen
von Monaten zu hören.
    Ich stelle keine
Vermutungen an, wie lange es währte. Ich weiß nur, daß ich nicht 306 Jahre alt
war - obwohl ich darauf gewettet hätte -, als die Stille unseres Verlieses von
einem unvorstellbaren Schrei zerrissen wurde. Darauf folgte eine gespenstische
Serie von Schreien, ein Brüllen, gedehntes Jaulen, scheußliches Schmatzen und
eine weitere Folge von Schreien, so grauenvoll, daß ich das Gefühl hatte, meine
Knochen würden wie Porzellan zerspringen. Dann Stille. Eine Stille, die nach
kurzer Zeit ebenso entsetzlich war wie die Schreie, und endlich abgelöst wurde
von schmatzenden, mahlenden, glitschenden Geräuschen, die langsam auf unsere
Zellentür zugekrochen kamen.
    Knarrend ging die Tür auf.
Einen kurzen Augenblick lang war im düsteren Lichtschein, der vom Gang
hereinfiel, eine bullige, gedrungene schwarze Gestalt zu erkennen, dann fiel
die Tür quietschend wieder ins Schloß. Die Dunkelheit lastete so schwer auf uns
wie ein blutgetränktes, samtenes Leichentuch. Schlurfende Schritte näherten
sich langsam den Pfählen, an denen wir festgekettet waren, und ich konnte jetzt
so etwas wie ein feuchtes Keuchen hören. Ich nahm undeutlich einen gelben
Strich wahr, der sich allmählich zu einem Paar winziger, glitzernder Augen
entwik-kelte. Auf einen sabbernden Ton folgte schweres, keuchendes Atmen, ein erregtes irrwitziges Fauchen und ein sprühender
Speichelnebel. »... und muß euch von den getrockneten Austern von Kantung
erzählen! Und den Fröschen von Kuei-yang! Dem Sommerknoblauch aus dem südlichen
Shensi und den Limonen aus dem Jangtsetal! Die Muscheln von der Küste von
Shantung, die Zuckerkrabben aus dem Süden von Kanton, der getrocknete Ingzver
und der Dornenhonig von Tschekiang !« kreischte Wirt
Sechsten Grades

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