Die Insel der Mandarine
Tu.
22
Mein Mund brannte wie
Galle, und Magensäure umspülte meine Zähne. Ein roter Nebel verdrängte die
Dunkelheit, und ein hoher Summton brauste in meinen Ohren. Dann durchströmte
mich der glückliche Gedanke, daß dies einer der wiederkehrenden Alpträume sein
mußte, in denen ich dem Wirt Tu wehrlos ausgeliefert war, mein Bewußtsein
schwemmte den Schrecken fort, und ich lachte fast vor Erleichterung, als der
rote Nebel verblaßte und der Summton verklang. Ich wurde von einem Paar
schimmernder, blaßgelber Augen belohnt, die noch näher kamen, während weiche
Finger wie Würmer über meine Wange krochen und Spucketröpfchen wie Meeresgischt
durch die Luft flogen. »Der Sagokuchen aus Mittelhonan und
Wüstenweißdornhonig mit Mandeln aus...«
»Wirt Sechsten Grades
Tu...«
»Aber Ihr müßt es
wissen! Es muß für die Nachwelt erhalten bleiben! Der feinste Kaviar ist der
Rogen vom Yangtsestör, in einem Sud aus den Sa ?nen des
Johannisbrotbaums gegart!«
»Wirt Tu!« brüllte Meister
Li. »Du weißt, daß du unzurechnungsfähig bist und in Geschmacksorgasmen
zusammenbrichst, nachdem du auf deine unnachahmliche Weise gemordet und
verstümmelt hast, und ich habe dir schon hundertmal gesagt, daß das noch einmal
dein Tod sein wird! Jetzt reiß dich zusammen, bevor dich endgültig der Schlag
trifft! Du könntest endlich diese verdammten Ketten aufschließen .«
Ich hatte den Verstand
verloren, das war's. Die Angst hatte mich in den Wahnsinn getrieben. Und zwar
so gründlich, daß ich mir einbildete, zu hören, wie ein Schlüssel in einem
Schloß klickte und Meister Lis Ketten auf den Steinboden rasselten. Ich hielt
den Atem an, als gespreizte Froschfinger über meine Knöchel zum untersten
Schloß glitten.
»Entschuldige, Ochse«,
sagte Meister Li reumütig. »Ich dachte, dir bekommt es besser, wenn du nichts
von dieser kleinen Vorsichtsmaßnahme weißt. Weißt du, bevor wir das Haus des
Himmlischen Meisters verließen, nachdem wir von dem Mord an dem armen kleinen
Dienstmädchen erfahren hatten, erkundigte ich mich nach dem Hund .« »M-m-m-meister?«
»Der Hund, Ochse. Erinnerst
du dich nicht? Als wir das Mädchen das erste Mal sahen, trug es einen kranken
Hund. Nun, der Hund ist gestorben .« »Gestorben?«
Der alte Mann seufzte
verzweifelt, dann bereute er seine Ungeduld und sagte mit freundlicher Stimme:
»Ja, mein Sohn: Der... Hund... ist gestorben. Die Mörder des Mädchens hatten
eine offensichtlich vom Himmlischen Meister geschriebene Legitimation bei sich,
die ihnen Zutritt zum Haus verschaffte. Das ging mir durch den Kopf, als ich zu
Teufelshand ging, um herauszufinden, wer eine solche Hinrichtung angeordnet
hatte. Als ich dabei wieder die Unterschrift des Himmlischen Meisters erkannte,
bereitete ich mich auf das Schlimmste vor .«
Ich kam zu dem Schluß, daß
seine Worte vielleicht in ein paar Monaten einen Sinn für mich ergeben würden,
wenn ich noch so lange am Leben blieb.
»Die Eunuchen«, fuhr
Meister Li fort, »liegen Teufelshand ständig in den Ohren, wirklich monströse
Henker für ihre Kerker aufzutreiben, also habe ich dafür gesorgt, daß Wirt
Sechsten Grades Tu freigelassen und in das Verlies des Eunuchenpalastes
gebracht wurde. Ich nahm an, daß es ihm nicht schwerfallen würde, als König der
Schlächter das Zepter zu schwingen, und ich hatte offensichtlich recht .«
Eine Folge schmatzender
Kicherlaute ließ vermuten, daß Wirt Tu seinen Spaß hatte. »Die anderen waren
zwar eifersüchtig, aber am Ende haben sie die Wirksamkeit meiner Methoden doch
erkannt«, erklärte er.
»Und zweifellos auch zu
spüren bekommen«, sagte Meister Li. »Ich nehme an, daß sie es waren, die gerade
aus vollem Halse geschrien haben ?«
»Ach, ich hätte es noch
besser machen können !« warf Wirt Tu ein. Ich hörte das
weiche, feuchte Schnalzen seiner langen Froschzunge an den wulstigen, feuchten
Lippen. »Für so etwas braucht man Zeit, wenn man der Kunst Genüge tun will .« »Wirt Tu, du predigst vor den Bekehrten«, bemerkte
Meister Li trocken. »Weißt du nicht mehr, daß wir einmal in deinem höchst
sonderbaren Keller zu Gast waren? Ochse, jetzt kannst du ebensogut den Rest
erfahren. Wirt Sechsten Grades Tu wird alles in seiner Macht Stehende tun, um
uns zur Flucht aus dem Verlies der Eunuchen zu verhelfen, und wir werden unser
Bestes tun, damit er den Polizeibehörden entkommt. Er hat drei Monate Zeit,
sich niederzulassen, wo er will und wieder ins Geschäft zu kommen, und dann
nehmen
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