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Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
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Dann hörten wir
ein Keuchen und ein knackendes Geräusch, der Offizier zuckte ein letztes Mal
und rührte sich nicht mehr. Meister Li kniete bei dem Wirt nieder und
untersuchte ihn. »Nicht zu fassen. Er lebt noch .« Der
Wirt schlug die Augen auf.
    »Wirt Tu, ich muß dich
etwas sehr Wichtiges fragen«, sagte Meister Li langsam und sehr deutlich. »Ich
habe Gründe, anzunehmen, daß Ochse wiederholte Male eine Botschaft erhalten
hat, deren Bedeutung jedoch verschlüsselt war, weil sie geheim ist und nicht
weitergegeben werden darf .« Ich? Eine verschlüsselte
Botschaft?
    »Ich habe außerdem Gründe,
anzunehmen, daß die Verschlüsselung aus speziellen, mit dem ersten
Drachenboot-Rennen in Verbindung stehenden Ausdrücken besteht, Ausdrücken,
deren Bedeutung in deinem Volk vielleicht noch erhalten sein könnte«, bemerkte
Meister Li. »Das erste dieser Wörter ist Mutter .« Wirt Tus Blick war teilweise in die gegenwärtige Welt gerichtet und teilweise
schon in die nächste. »Mutter? Bootsrennen ?« flüsterte
er. »Die Mutter ist dasselbe wie t'ou, das Haupt, das heißt der Kapitän
des Bootes. Die Mutter steht oben auf der Bugspitze und erteilt Kommandos mit
langen, flatternden Schärpen, aber ihr müßt wissen, daß die Kaufmannszunft aus
Kanton ihren Mitgliedern aller Grade einen zusätzlichen Gang aus fo siu u, gebackenem Schweinefisch, anbietet, der tatsächlich so ähnlich schmeckt
wie Schweinefleisch, jedoch giftig ist, wenn man ihn mit Brokkoli zubereitet.«
    »Wirt Tu, das nächste Wort
ist Gras«, warf Meister Li drängend
    »Gras ist der Ausdruck für
die Schärpen, die Mutter benutzt, um die Kommandos zu geben. Sie sind grün mit
weißen Spitzen und sehen aus wie Grashalme, die im Wind schaukeln, und in
Schanghai serviert die Gilde zusätzlich Heringe, die man Des kleinen Vaters
älteste Schwestern nennt, und...«
    »Brüder, Wirt Tu,
das dritte Wort lautet Brüder«, unterbrach ihn Meister Li.
    »Brüder, ja, oh, ja. Es
sind acht. Vier vor dem Wall und vier dahinter. Erste Ruderer, die den Schlag
angeben. Sie tragen rote Halstücher, und ihre Rudergriffe sind mit roten
Bändern umwickelt, und in Schanghai bieten sie außerdem noch ein köstliches
Gericht mit Namen Vornehmer Pferdefreund-Fisch an, das...« »Wirt Tu, du
hast gerade den Wall erwähnt. Was ist das ?« erkundigte sich Meister Li.
    »Der Wall ist das erhöhte
Podest in der Mitte des Bootes, wo der Trommler sitzt, der die Befehle der
Mutter entgegennimmt und mit seinem Schlag weitergibt«, flüsterte der Wirt.
Seine Kräfte schwanden jetzt rasch. Meister Li hob die Stimme und brüllte ihm
direkt ins Ohr.
    »Wirt, ich nehme an, es
wurde das alte Wu hing-System der Parallelen angewandt, Feld
würde demnach für Osten und Stall für Westen stehen, aber ich muß
wissen, was es mit der Ziege auf sich hat !« schrie der
Weise. »Was... ist... die... Ziege?« Ich hielt den Wirt schon für tot, doch als
er noch einmal die Augen öffnete, waren sie vollkommen klar, und seine Stimme
hatte einen festen Klang.
    »Shao, der Steuermann des Drachenboots,
wird aus zwei Gründen Ziege genannt«, erklärte er, als würde er einen Vortrag
halten. »Zum einen muß er, während er mit seinem Ruder kämpft, im ganzen Heck
herumspringen, und zum zweiten ist er ein Außenseiter, von dem man erwartet,
daß er die Schuld auf sich nimmt, wenn das Boot verliert. Die Ziege ist ein professioneller,
angeheuerter Ruderer. Kein Amateur kann mit einem Holzklotz umgehen, der
vierzig Fuß lang ist und mehr als eine Tonne wiegt, und kein Amateur kann für
die Zunft von Nam Viet kochen, wenn das zusätzliche Gericht aus den Lippen des Hsiang-hsiang besteht, was soviel heißt wie Gibbon, und sie werden in Bier
geschmort, das aus dem Saft der Arekanuß gebraut ist.«
    Seine Augen traten aus den
Höhlen, und er starrte zu etwas auf, das für die Lebenden unsichtbar war. Ein
Krampf ließ ihn nach hinten zucken, und dann rutschte Wirt Sechsten Grades Tu,
den toten Offizier mit sich ziehend, die Böschung hinunter. Sie landeten im
Wasser und verschwanden. Rote Schaumblasen zerplatzten an der Oberfläche, und
ein roter Fleck breitete sich langsam aus und trieb auf die riesigen Schaufeln
des Rades zu.
    »Leb wohl, Wirt Tu«, sagte
Meister Li leise, und die Schaumblasen antworteten: »Blubb... blubb... blubb .«
    23
    Zwar begegneten wir auf
unserem Weg zu einer der Treppen, die zu den Gärtnerhütten hinaufführte, keinen
Soldaten mehr, aber als ich den alten Mann auf den Rücken

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