Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Insel der Mandarine

Die Insel der Mandarine

Titel: Die Insel der Mandarine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Hughart
Vom Netzwerk:
erreichen,
bevor Neid dort ist. Wenn ich mich nicht irre, fehlt ihm nur noch ein einziger,
und wir müssen verhindern, daß er ihn bekommt .«
    Offensichtlich waren wir
während einer Pause irgendeiner Zeremonie angekommen. Mir war nicht
aufgefallen, wie ungewöhnlich still es war, bis ein gewaltiges Seufzen durch
die Menge ging, mit dem die Hauptperson der Feierlichkeit begrüßt wurde, die
hinter einem mit heiligen Symbolen verzierten Schirm hervortrat. Es war der
Himmlische Meister. Sein Gewand war mit Totenschädeln geschmückt, und hinter
ihm tauchte ein Hohepriester auf, der auf einem goldbesetzten Kissen eine
altertümliche Steinkeule trug. Langsam schritten sie die Stufen zu der
Plattform um den alten Brunnen hinauf. Es folgte ein langes, rituelles Gebet,
von dem ich nichts hören konnte und höchstwahrscheinlich ohnehin nichts
verstanden hätte, und dann teilte sich das Spalier der Soldaten, um zwei
rangniedrigere Priester durchzulassen, die eine Reihe aneinander-geketteter
Gefangener herbeiführten. Der erste Gefangene wurde von der Kette befreit, aber
noch an den Händen gefesselt, die Stufen hinaufgezerrt und mit einem Fußtritt
vor den Himmlischen Meister auf die Knie gestoßen.
    Der Hohepriester breitete
die Arme aus, erhob die Stimme zu einem Gesang zum Himmel, und der Himmlische
Meister hob die Keule hoch über den Kopf. Mir blieb vor Erstaunen der Mund
offenstehen, als die Keule gnadenlos heruntersauste und den Schädel des
Gefangenen zerschmetterte. Mit einem kraftvollen, verächtlichen Tritt
beförderte der heilige Greis die Leiche zum Rande des Brunnens, und sie kippte
hinunter in die dunkle Tiefe. Ein Freudenschrei stieg von der Menge auf, und
die Mandarine klatschten Beifall. Ich starrte den Heiligen ungläubig an.
    »Sie haben gebetet, daß
ihnen der Himmel seine Aufmerksamkeit zuwendet, und es ist nicht anzunehmen,
daß der Kaiser des Himmels allzu erfreut sein wird«, sagte Meister Li mit
harter, gepreßter Stimme. »Wenn der Erhabene Jadekaiser einen Fehler hat, so
ist es sein aufbrausendes Temperament, und wir sollten besser etwas
unternehmen, bevor die Lehre vom Unheil eine unglückliche Bestätigung findet .« Er bearbeitete meinen Arm mit schnellen, harten Schlägen.
»Die Käfige, Ochse. Wir müssen die Käfige an uns bringen, und wir haben keine
Zeit, uns über die Gefahren Gedanken zu machen. Gehen wir .« »Ja, ehrwürdiger Meister«, sagte ich.
    Ein zweites Opfer wurde
eben vor den Himmlischen Meister geschleppt, was bedeutete, daß niemand zur
Klippe hin blickte, als ich mit Meister Li auf dem Rücken hinuntereilte. Ich
hörte das Jubelgeschrei, als die steinerne Keule den zweiten Schädel
zertrümmerte, und begann innerlich um Beistand zu beten. Inständig, aber nicht
blind. Ich hatte eine überaus klare Vorstellung im Kopf. Wo war der
Puppenspieler? Wenn nur Yen Shih jetzt erschiene mit den tanzenden,
herausfordernden Funken in den Augen, in jeder Hand ein Schwert, das schneller
auf und nieder blitzte als die Flügel eines Nachtschwärmers...
    Wir erreichten das flache
Becken hinter der Tribüne und schickten uns an, hindurchzuwaten, als Meister Li
einen leisen Schrei ausstieß und nach links hinauf starrte. Seinem Blick
folgend, sah ich , wie eine Gestalt am Palast des
Südlichen Dufts hinunterkletterte, und mir stockte der Atem. Es war nicht
derjenige, um dessen Erscheinen ich gebetet hatte, aber dieser andere war
ebenso kraftvoll gebaut und strebte geradewegs auf die Tribüne und die Käfige
zu. Die blauen Wangen, die rote Nase, das gelbe Kinn und die silberne Stirn schienen
der Umgebung, von der sie eingerahmt waren, durchaus angemessen: dem Sturm, der
Wolken von Unrat in der Luft aufwirbelte, dem fauchenden Gelben Wind, der
blutroten, riesig aufgeblähten Sonne, den Böen, die um die Paläste heulten.
»Beeil dich, Ochse! Er darf keinen weiteren Käfig an sich bringen !« schrie Meister Li.
    Ich tat mein Bestes. Mit
dem alten Mann auf dem Rücken sprang ich vorwärts und schwang mich auf die
Empore. Ich kniete noch am Rande der Plattform und wollte mich eben aufrichten
und zum Sprung ansetzen, als der große Affenmensch leicht wie ein Blatt
zwischen den Thronstühlen landete. Er brach mit einem mühelosen Hieb einem der
Mandarine das Genick und schnappte seinen Käfig, und als das Geschöpf mir und
Meister Li einen Augenblick lang direkt ins Gesicht sah, glaubte ich so etwas
wie Belustigung in seiner Miene zu erkennen. Dann war Neid mit zwei Sätzen von
der Tribüne herunter

Weitere Kostenlose Bücher